Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Titel: Die Erben von Somerset: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leila Meacham
Vom Netzwerk:
Blick Ollies auf das Kind, das da an der Brust seiner Mutter nuckelte, war erleichtert und stolz zugleich. Der Kleine hatte nicht, wie sie beide insgeheim fürchteten, blonde, sondern schwarze Haare wie Mary, und seine blauen Augen ließen schon den Grünton erahnen, den sie später annehmen würden. Am Kinn war ein leichtes Grübchen zu erkennen, und alle, die ihn sahen, reagierten entzückt über die Ähnlichkeit mit seiner Mutter.
    »Ein richtiger Toliver«, bemerkte Ollie mit strahlendem Gesicht.
    Ollie verliebte sich sofort in das Baby und verbrachte so viel Zeit wie möglich mit ihm. Als Mary ihn eines Abends beobachtete, wie er den Kleinen wiegte, liebkoste und immer wieder auf den kleinen Kopf küsste, fragte sie sich, ob ihm die Ironie der Situation bewusst war: Er hatte Bein und Zeugungsfähigkeit für das Leben seines besten Freundes hingegeben und war nun mit dessen großer Liebe verheiratet und zog dessen Kind groß.
    Marys Gedanken waren fast die ganze Zeit in Somerset; sie schickte wöchentlich schriftliche Anweisungen an Hoagy Carter. Vor ihrer Abreise hatten sie sich auf folgende Vereinbarung geeinigt: Wenn er die Plantage unter Anleitung von Emmitt Waithe mit Umsicht und erfolgreich führte, durfte er den Erlös aus der Baumwollernte drei Jahre lang ganz behalten. Wenn Mary bei ihrer Rückkehr jedoch Misswirtschaft feststellen müsste, würde sie ihn und seine Familie ohne einen Penny von ihrem Land verjagen.
    Eines Abends, als sie neben dem schlafenden Matthew saßen, sagte Ollie: »Mary, ich frage mich immer noch, ob es nicht falsch ist, den Kleinen ganz für uns zu behalten.«
    Mary zog ihn von der Wiege weg. »Es kann nicht falsch sein, das Kind vor dem Fehler zu schützen, den Percy und ich begangen haben. Du bist jetzt sein Vater. Mach dir keine Schuldgefühle, weil du meinst, ihm Matthew weggenommen zu haben. Percy wird noch viele Söhne zeugen. Du und ich hingegen, wir werden nur Matthew haben. Stell dir vor, wie Percy reagieren würde, wenn er wüsste, dass er sein Kind ist.«
    Mary hatte den richtigen Ton getroffen. Ollies Hand schloss sich um die ihre. »Gut, reden wir nicht mehr über dieses Thema.«
    Acht Wochen nach der angeblichen Geburt Matthews und
nach Ollies Einkaufsreise durch Europa spürten sie Miles in Paris auf und verabredeten sich mit ihm. Während Mary sich für das mittägliche Treffen ankleidete, ging Ollie nach unten zur Concierge, um zwei Briefe abzuholen. Einen öffnete er bereits auf dem Weg nach oben. Er kehrte mit ernster Miene zurück. »Die sind von meinem Vater«, erklärte er. »Sie sind uns durch halb Europa nachgeschickt worden. Dieser hier ist vier Monate alt.«
    »Was steht drin?«, erkundigte sich Mary.
    »Percy hat geheiratet.«
    Mary glitt die Kette, die sie gerade schließen wollte, aus der Hand, so dass sie klappernd auf die Frisierkommode fiel. »Wen?«, flüsterte sie mit einem entsetzten Blick in den Spiegel.
    »Lucy.«
    Sie wurde leichenblass. »Lucy?«
    »Ja. Lucy Gentry.«
    »Gütiger Himmel! Lucy? « Mary umklammerte die Kante des Frisiertischs und stieß ein kurzes, ungläubiges hysterisches Lachen aus. »Percy hat Lucy geheiratet? Wie konnte sie nur? Wie konnte er nur?«
    »Das Gleiche hat Percy sicher über dich gesagt«, bemerkte Ollie mit einem für ihn untypischen missbilligenden Stirnrunzeln, bevor er den zweiten, zwei Monate später abgestempelten Brief öffnete. Nachdem er ihn gelesen hatte, sah er Mary im Spiegel an. »Mach dich auf einen zweiten Schock gefasst: Lucy ist schwanger. Das Kind soll im April nächsten Jahres zur Welt kommen.«
    Bei dem Treffen mit Miles wenig später fiel es Mary schwer, sich auf das Gespräch zu konzentrieren, das Ollie fast allein führte, und sie aß kaum etwas. Miles habe Marietta nicht mitgebracht, weil sie »indisponiert« sei, erklärte er mit flackerndem Blick. Er sah schlechter aus als bei seiner Abreise
von Howbutker. Seine Haut war fahl, seine Zähne hatten die Farbe von Tabak. Schuppen von seinen schütteren, trockenen Haaren lagen auf den Schultern seines schäbigen Anzugs.
    Als Ollie zur Toilette ging, schaute Miles seine Schwester das erste Mal direkt an. »Ich habe immer gedacht, du würdest Percy heiraten, Mary.«
    »Tja, du scheinst dich getäuscht zu haben.«
    Ihr Bruder schüttelte den Kopf. »Du und Ollie, Percy und Lucy. Das ergibt keinen Sinn. Was ist passiert?« Als er keine Antwort bekam, bleckte er die gelben Zähne. »Lass mich raten. Nach dem Hagel hast du Ollie als

Weitere Kostenlose Bücher