Die Erben
machen? Heim will ich nicht, was bleibt mir also übrig? Hier bleiben?“
Ich musterte ihn kurz, dann stand ich seufzend auf, zerrte die Gästematratze unter meinem Bett hervor und kickte sie gegen die Wand.
„Wenn du schnarchst, schlag‘ ich dich“, warnte ich ihn und hob den Zeigefinger. „Wenn du mich voll quatschst, trete ich dich. Und wenn du auch nur daran denkst, in mein Bett zu kommen, dann-“
Simon grinste mich an und ich verschränkte die Arme vor der Brust.
„-dann ruf ich deine Schwester an und sag ihr, dass du hier bist.“
Damit war sein Grinsen verschwunden und er nickte wie ein gut erzogener Soldat.
Zufrieden drehte ich mich um und legte mich in mein Bett, während Simon damit begann, seine Sachen auszuziehen.
„Nacht“, murmelte ich, als er sich hingelegt hatte und knipste das Licht aus.
„Nacht“, entgegnete Simon ebenfalls und nach einem kurzen Rascheln war es auch bei ihm ruhig. In Rekordzeit musste er eingepennt sein, wie mir sein ruhiger, gleichmäßiger Atem verriet. Was wohl auch kein Wunder war, so abgespannt und müde wie er ausgesehen hatte.
Ich dagegen wälzte mich ewig auf der Matratze umher und konnte ums Verrecken nicht einschlafen.
Ständig wiederholte sich vor meinem geistigen Auge alles was passiert war. Ich hatte das Gefühl, mit meiner Erzählung eine Endlosschleife losgetreten zu haben.
Das einzig Gute daran war die Tatsache, dass diese Bilder mich immer weniger aufwühlten. Selbst dieser Dachterrassen-Heini Constantine verlor zusehends an Überraschungseffekt, als er in der vierundzwanzigsten Wiederholung durch meinen Kopf sauste.
Hin und wieder schweiften meine Gedanken dann zu Mum ab und der Frage, ob ich es überleben würde, wenn sie jetzt in mein Zimmer kam.
Eine Weile beschäftigte ich mich auch damit, wütend auf Simon zu sein, weil er mir nicht auf die Frage nach seiner Fähigkeit geantwortet hatte. Besonders nachdem ich ihm alles ohne zu murren erzählt hatte.
Irgendwann musste ich mir jedoch selbst eingestehen, dass ich nicht deswegen wütend war. Immerhin konnte ich Simon ziemlich gut verstehen. Er dachte vermutlich, wenn er zugab, dass er eine Gabe hatte, würde alles noch realer werden. Und das, obwohl alles eigentlich einfach nur verrückt war.
Schließlich war es mir ja auch so gegangen.
Nein, wütend machte es mich, dass ich tatsächlich gehofft hatte,
mir
würde er die Wahrheit sagen. Warum auch immer ich mir einbildete, ich wäre seine erste Wahl, über so etwas zu reden.
Genervt schnaubte ich und wälzte mich erneut hin und her.
Es war bereits halb drei Uhr morgens. In vier Stunden würde mein Wecker klingeln und dann war Schule angesagt. Eine herrliche Normalität, wie ich fand.
Ich drückte meine Augen zu und versuchte an nichts zu denken, als ich plötzlich das Gefühl hatte, jemand würde direkt neben meinem Bett stehen.
Erschrocken riss ich die Augen auf, doch ich starrte ins Leere.
Trotzdem klopfte mein Herz wie wild und ich war fest davon überzeugt, dass ich mir das nicht nur einbildete.
Langsam drehte ich mich um und schob meinen Kopf bis zur Bettkante.
„Simon?“, flüsterte ich leise, doch er schlief tief und fest und reagierte nicht.
Ich legte meinen Kopf wieder auf mein Kissen und versuchte mich zu beruhigen.
Nach allem was passiert war, konnte man sich so etwas schon mal einbilden, egal wie überzeugt ist war, es nicht zu tun.
Gezwungen langsam atmete ich durch.
Mein Puls beruhigte sich trotzdem kaum.
„Danke“, flüsterte es plötzlich und ich erstarrte.
Natürlich war es nicht gerade unheimlich, wenn sich jemand bedankte. Wenn jedoch niemand da war, der sich bedanken konnte und man es auch noch in seinem
Kopf
hörte, statt in den Ohren, dann war das sogar sehr unheimlich.
„Simon?“, wiederholte ich lauter, doch er drehte sich nur um und schlief weiter.
„Schlaf gut, Lyn“, flüsterte es noch einmal, dann war es weg. Was auch immer es gewesen war.
Mein Puls pochte wie wild und jeder Muskel in meinem Körper war angespannt.
Erst nach endlosen Minuten konnte ich mich wieder bewegen.
Langsam schob ich meinen Kopf wieder an die Bettkante.
Simon schlief noch immer. Ruhig und gleichmäßig hörte ich seinen Atem.
Ich erinnerte mich an den Morgen im Krankenhaus, als ich das erste Mal aufgewacht war. Auch da hatte jemand mit mir gesprochen.
Es war die gleiche Person gewesen wie eben, das wusste ich einfach.
Und in diesem Moment war ich überzeugt, diese Person lag gerade dort vorne auf meiner
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