Die Erben
wieder. „Die glaubt eh, dass du da drüben-“
„-entweder wegen meiner Unordnung drauf gehe, oder versehentlich ein Feuer lege“, beendete ich gelangweilt. „Oder dass ich am laufenden Band Jungs empfange, die bei einem versehentlich gelegten Feuer drauf gehen und ich vor lauter Unordnung nie die Leichen finden werde.“
Dad hob die Augenbrauen. „Wie ich sehe, ist ihre Horrorvorstellung in den vergangenen Wochen noch ausführlicher geworden.“ Er nickte beeindruckt.
„Ja, aber auch vollkommen unlogisch“, meinte ich und verdrehte die Augen. „So ein Feuer verbrennt doch auch die Unordnung. Aber sie hat mir vor zwei Tagen meine Wäsche gebracht, nachdem ich sie Wochen lang im Keller hatte hängen lassen. Dabei ist sie auf Kafka getreten, der unter der neuen Dreckwäsche vergraben lag. Ich glaube, das hat sie irgendwie zu dieser sinnlosen Annahme inspiriert.“
Dad lachte leise in seinen Bart. „Und warum kannst du dann nicht schlafen?“
„Mir geht ziemlich viel im Kopf herum“, antwortete ich leise und spielte mit den Kokosflocken auf der Anrichte herum.
„Jungs?“
Mit gerunzelter Stirn drehte ich mich zu Dad. „Hä?“
„Gehen dir Jungs im Kopf herum?“, fragte er deutlicher nach und grinste unter seinem Rauschebart. „Oder besser gesagt,
ein
Junge?“
„Nein“, widersprach ich beinahe angewidert. „Und versteh‘ das nicht falsch, aber selbst wenn ich an einen Jungen denken würde, würde ich das nicht mit dir ausdiskutieren wollen.“
„Aber warum nicht?“ Er sah mich mit einer Mischung aus Belustigung und aufrichtiger Enttäuschung an. „Ich war auch mal ein Junge. Ich könnte dir Tipps geben, worauf die so stehen.“
„Ja“, erwiderte ich gedehnt. „Wenn es mal soweit kommen sollte, gebe ich dir Bescheid.“
„Tu das.“ Dad wirkte zufrieden und ich schüttelte ungläubig den Kopf.
Nur mein Vater konnte glauben, es sei eine pädagogische Höchstleistung, der eigenen Tochter Tipps für den Umgang mit Kerlen zu geben.
Unschlüssig sah ich ihm dabei zu, wie er den nächsten Kokoskeks in seinem Mund verschwinden ließ. Drei Mal sog ich scharf Luft ein, bevor ich beim vierten Versuch endlich einen Ton heraus brachte.
„Dad, glaubst du eigentlich an Übersinnliches?“
„Bitte?“ Er blinzelte mich etwas verständnislos an.
„Naja, du weißt schon. Hexen und so Zeug“, erklärte ich und wedelte unwirsch mit der Hand vor meinem Gesicht herum. „Zaubersprüche und irgendwelche Fähigkeiten. So Kram eben.“
„Überraschende Themenwahl für einen nächtlichen Überfall auf die Keksdose“, stellte Dad fest und lachte leise. „Aber Halloween steht ja praktisch vor der Tür, warum also nicht?“
Er setzte sich auf und schob seine Brille, die an einer Kette um seinen Hals hing, auf die Nase. „Geht es dir denn mehr um die geschichtlichen Aspekte oder allgemein um Übersinnliches?“
„Also eigentlich würde ich nur gern wissen, ob du glaubst, dass es so etwas überhaupt gibt“, wiederholte ich gedehnt und etwas ungeduldig.
„Nun, rein geschichtlich gab es natürlich Hexen“, begann Dad schwerfällig. „Die Hexenprozesse in Nordamerika und Europa sprechen da ja eine eindeutige Sprache. Die Frage ist natürlich, ob diese sogenannten Hexen wirklich etwas konnten, was andere Menschen nicht beherrschten.“
Gelangweilt verdrehte ich die Augen und ließ Dad seinen Monolog weiter führen.
Es war ja nicht so, dass er mich wirklich nervte. Unter normalen Umständen wäre ich sehr interessiert an dem gewesen, was er mir erzählte, schließlich war mein Dad ziemlich klug und belesen.
Doch heute war mir nicht nach Lektionen über die Hexenverfolgung.
Leider fiel mir aber auch kein Weg ein, ihn zu stoppen, ohne mein eigenes Dilemma mit der Übersinnlichkeit zu verraten.
Also stopfte ich weiter Kekse in mich hinein und ergänzte meinen Mitternachtssnack irgendwann mit einem Glas Milch.
Als ich satt war, stützte ich meinen Kopf müde auf meiner Hand ab und lauschte dem gleichmäßigen Brummen von Dads Stimme.
„Manche sind bis heute bekannt“, plapperte er gerade. „Besonders hartnäckig hat sich die Erzählung von einem Hexenzirkel gehalten, der angeblich während der Hexenverfolgung Frauen und Männern zur Flucht verholfen hat, wenn diese unter den Verdacht der Hexerei gerieten.“
Mein Kopf richtete sich wie fremdgesteuert auf.
Hatte in Elizas Tagebuch nicht etwas gestanden, dass Elijah fast schon besessen von der Idee gewesen war, so viele wie möglich zu
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