Die Erben
retten?
„Und gab es die wirklich?“, unterbrach ich Dad.
„Oh, ich denke schon“, antwortete er, sichtlich erfreut, dass ich mich dazu entschlossen hatte, aktiv an dieser Unterhaltung teilzunehmen. „Aber ich glaube nicht, dass sie wirklich irgendwelche außernatürlichen Fähigkeiten besaßen. Sie waren vermutlich einfach nur sozial und hatten einen gesünderen Menschenverstand. Damals schien das womöglich übernatürlich, wer weiß.“ Er lachte leise wegen seines Kommentars.
„Hast du denn schon einmal von der Legende der
Erben
gehört?“, fragte ich gerade heraus und Dads Lachen erstarb.
„Die
Erben
?“, wiederholte er ernst. „Wo hast du das her?“
„Hab‘ ich mal so mitbekommen“, flunkerte ich schnell.
„Das hat du von deiner Gran, oder?“ Dad wirkte verärgert. „Hat sie dir das erzählt? Kein Wunder, dass du nicht schlafen kannst.“
„Warum? Was ist so schlimm daran?“ Ich runzelte die Stirn und Dad warf den Keks, den er gerade erst in die Hand genommen hatte, wieder in die Dose.
„Deine Großeltern haben vor ewiger Zeit so ein altes Tagebuch gefunden“, erklärte er mit brummiger Stimme. „Und weil ihnen ein geisteskranker Antiquar erzählt hat, es sei von einer der
Gesandten
geschrieben worden, oder wie er das auch immer nannte, haben sie angefangen, diesen Quatsch zu glauben.“
„
Gesandten
?“, wiederholte ich verständnislos.
„Frag‘ mich nicht, ich habe mir diesen Stuss nicht gemerkt.“ Dads heftige Reaktion überraschte mich. „Es hat mit einer besonders absurden Legende zu tun. Parallelwelten, Fantasie-Wesen, was weiß ich. Ich weiß nur, dass eure Granma davon gefaselt hat, unsere Familie hänge mit diesem Schwachsinn zusammen. Sie hat Tinna und mich ständig gelöchert, ob ihr euch eigenartig verhaltet, weil sie der Ansicht war, ihr könntet die Erben sein.“
„Und Mum und du glaubt das nicht?“
„Natürlich nicht“, donnerte er, dann bemühte er sich sichtlich um Ruhe. „Hör zu, Lyn, Kleines. Du und dein Bruder seid vollkommen normal. Ihr müsst euch keine Gedanken machen. Was auch immer deine Gran dir erzählt hat, vergiss es einfach wieder. Sie und mein Vater haben sich da in eine Sache verrannt, die euch nur aufwühlen würde. Dieser Antiquar hat daran Schuld und er sitzt dafür zu Recht in einer geschlossenen Anstalt. Ermutige deine Gran in dieser Sache nicht noch, sonst landet sie womöglich im Nachbarzimmer dieses Spinners.“ Er lächelte, auch wenn kein Zweifel daran bestand, dass er es ernst meinte.
Stumm nickte ich und halbwegs beruhigt wandte sich Dad wieder der Keksdose zu.
„Oh“, meinte er dann und seine Stimme klang wieder vollkommen normal. „Wir haben mehr als die Hälfte gegessen. Besser wir stellen die Dose jetzt weg, bevor wir sie noch vollkommen leer futtern.“
Er lächelte mich verschwörerisch an, als er die Dose auf den Kühlschrank hievte. Gequält erwiderte ich sein Lächeln, auch wenn meine Gedanken ganz woanders waren.
Samstags begleitete mich Ava in die Stadt, um ein Kostüm für Simons Halloweenparty auszusuchen.
„Weigerst du dich noch immer, es Geburtstagsparty zu nennen?“, lachte sie und wühlte sich durch die Kleiderständer.
„Mir kann es nur recht sein, dass er an Halloween geboren wurde“, entgegnete ich gelangweilt und zupfte lustlos an ein paar Kostümen herum. „Mach mir das also nicht kaputt.“
Wieder lachte sie und zog etwas vom Ständer. „Das wäre doch gut.“
„Das ist ein Meerjungfrauenkostüm“, erwiderte ich, doch Ava sah mich nur unbeeindruckt an. „Meerjungfrauenkostüm“, wiederholte ich deswegen gedehnt.
„Schon klar“, meinte sie ungeduldig. „Aber du weißt, dass es in unserem Alter nicht mehr cool ist, als Cowboy oder Skelett zu gehen, oder?“
„Meerjungfrau“, sagte ich langsam und überdeutlich.
„Ist ja gut.“ Sie stopfte das Kostüm zurück zwischen den Rest.
Wir schlenderten weiter an den Kleiderständern vorbei halbherzig nahm ich ein paar andere Kostüme in die Hand.
Als ich das dritte Kleid in Folge in der Hand hatte, das sehr wahrscheinlich weniger Stoff als meine Unterwäsche besaß, wandte ich mich an Ava.
„Kann es sein, dass Halloween als Anlass genommen wird, sich wie eine Schlampe anziehen zu können, ohne gleich als eine abgestempelt zu werden?“
„Und darauf kommst du erst jetzt?“ Ava starrte mich an, als hätte sie eben erfahren, dass ich von einem anderen Stern kam.
„Naja, ich war noch nie auf einer Halloweenparty“, gab
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