Die Erbin
schon Geld aus dem Nachlass bekommen hat, und das sorgt für Ärger. Und jetzt gibt es auch noch Gerede, dass Sie ein Auge auf Hocutt House geworfen hätten. Fragen Sie mich nicht, woher ich das weiß; die Stadt ist klein. Ein solcher Schritt zu dieser Zeit würde eine Menge Aufmerksamkeit erregen, und zwar ausschließlich negative.«
Jake war sprachlos. Während er auf das Giebeldach von Hocutt House in der Ferne starrte, überlegte er, wer wem was gesagt haben könnte und wie das Ganze wohl bekannt gewor den war. Willie Traynor hatte ihn zur Verschwiegenheit ver pflichtet, weil er nicht von anderen Kaufinteressenten belästigt werden wollte. Harry Rex war sowohl mit Jake als auch mit Willie befreundet, aber obwohl er sonst jedes Gerücht mit großem Elan befeuerte, würde er Informationen wie diese nie nach außen tragen. »Wir träumen nur ein wenig«, stammelte er. »Es übersteigt meine finanziellen Möglichkeiten, und der Prozess mit der Versicherung läuft noch. Aber danke.«
Danke, Richter Atlee, dass Sie sich wieder mal eingemischt haben. Aber als Jake tief Luft holte und versuchte, seinen Zorn zu unterdrücken, musste er insgeheim zugeben, dass er und Carla ein sehr ähnliches Gespräch geführt hatten. Der Kauf des Hau ses würde viele zu der Annahme verleiten, dass Jake sich auf Kosten eines Toten die Taschen füllte.
»Wurde das Thema einer außergerichtlichen Einigung angeschnitten?«, erkundigte sich der Richter.
»Ja, ganz kurz«, antwortete Jake schnell. Er wollte unbedingt vom Thema Immobilien weg.
»Und?«
»Es hat zu nichts geführt. In seinem Brief an mich hat Seth Hubbard eindeutige Anweisungen gegeben. Ich glaube, seine genauen Worte waren: ›Wehren Sie sich, Mr. Brigance, bis zum bitteren Ende. Wir müssen sie besiegen.‹ Das lässt nicht viel Raum für Verhandlungen über einen Vergleich.«
»Aber Seth Hubbard ist tot. Das Verfahren, das er uns eingebrockt hat, ist es nicht. Was wollen Sie Lettie Lang sagen, wenn die Geschworenen zu ihren Ungunsten entscheiden und sie nichts bekommt?«
»Lettie Lang ist nicht meine Mandantin. Der Nachlass ist mein Mandant, und meine Aufgabe besteht darin, die Bestimmungen des Testaments durchzusetzen, durch das der Nachlass entstanden ist.«
Richter Atlee nickte, als wäre er der gleichen Meinung, aber er sagte es nicht.
27
Charley Pardue kam genau im richtigen Moment. Simeon war wieder weg. Wäre er an diesem späten Samstagnachmittag im Hause gewesen, hätten er und Charley sich sofort in die Haare bekommen, und der daran anschließende Streit wäre hässlich geworden.
Doch so waren nur Frauen und Kinder da, als Charley an die Tür des ehemaligen Sappington-Hauses klopfte. Die Kinder futterten Cornflakes aus dem Karton und sahen fern, die Frauen hatten sich in Morgenmantel und Pyjama in der unaufgeräumten Küche versammelt, wo sie Kaffee tranken und sich unterhielten. Phedra ging zur Tür und schaffte es gerade noch, den Besucher auf das Sofa im Wohnzimmer zu setzen. Dann rannte sie in die Küche und verkündete aufgeregt: »Momma, da ist ein Mann, der dich sprechen will, und er sieht sooo elegant aus!«
»Wie heißt er?«
»Charley Pardue. Er glaubt, er ist ein Cousin, sagt er.«
»Ich habe noch nie was von einem Charley Pardue gehört«, warf Lettie ein, die sofort misstrauisch geworden war.
»Jetzt ist er jedenfalls hier, und er ist wahnsinnig süß.«
»Lohnt es sich, mit ihm zu reden?«
»Auf jeden Fall.«
Die Frauen eilten nach oben und zogen sich schnell um. Phedra schlich zur Hintertür hinaus und ging zur Vorderseite des Hau ses. Gelber Cadillac, neues Modell, blitzblank, Nummernschilder aus Illinois. Charley selbst sah genauso präsentabel aus. Dunkler Anzug, weißes Hemd, Seidenkrawatte, diamantenbesetzte Krawattenklammer und mindestens zwei kleine, dezente Diamantringe an den Fingern. Kein Ehering. Am rechten Handgelenk trug er ein Goldkettchen, am linken eine teure Uhr. Er strahlte großstädtische Gewandtheit aus, und Phedra hatte sofort gewusst, dass er aus Chicago kam, noch bevor er durch die Tür getreten war. Sie bestand darauf, neben ihrer Mutter zu sitzen, als Lettie wieder nach unten kam, um ihn zu begrüßen. Portia und Clarice sollten sich später dazugesellen. Cypress blieb in der Küche.
Charley begann seine Geschichte, indem er ein paar Namen fallen ließ, von denen ihnen keiner so richtig bekannt vorkam. Er sagte, er sei aus Chicago, wo er als Unternehmer arbeite, was immer das auch bedeutete. Er hatte ein
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