Die Erbin
hier.
Lettie sagte ganz ruhig: »Sie sind doch bestimmt nicht zu fällig in der Gegend.«
»Nein.«
»Brigance«, sagte Simeon und trank. »Haben Sie nicht Carl Lee Hailey vertreten?«
Ah, der alte Eisbrecher funktionierte immer noch, zumindest bei Schwarzen. »Das stimmt«, bestätigte Jake bescheiden.
»Dachte ich mir. Gut gemacht. Wirklich gut gemacht.«
»Danke. Hören Sie, ich bin geschäftlich hier, und, nun, ich muss mit Lettie unter vier Augen sprechen. Nichts gegen Sie, aber ich muss ihr etwas Vertrauliches mitteilen.«
»Was denn?«, fragte sie verwirrt.
»Warum ist es vertraulich?«, fragte Simeon.
»Das Gesetz verlangt es so«, sagte Jake. Wobei das glatt gelogen war. Mit dem Gesetz hatte das überhaupt nichts zu tun. Im Verlauf des Gesprächs wurde ihm zunehmend klar, dass seine großen Neuigkeiten wahrscheinlich überhaupt nicht vertrau lich waren. Zweifellos hätte Lettie ihrem Mann bereits alles erzählt, bevor er überhaupt aus der Einfahrt gebogen war. Seth Hubbards Testament war inzwischen öffentlich zugänglich, und binnen vierundzwanzig Stunden hatten es wahrscheinlich sämtliche Anwälte der Stadt unter die Lupe genommen. Was war daran vertraulich?
Verärgert schleuderte Simeon die Bierdose gegen den Baum, was einen Schaumstreifen auf der Rinde hinterließ. Er schoss hoch und kickte gegen den Korb mit den Milchflaschen. »Schon gut, schon gut«, grollte er, griff in die Kühlbox, nahm sich ein weiteres Bier heraus und stapfte unter leisem Fluchen davon, tiefer zwischen die Bäume, wo er mit Sicherheit im Verborgenen lauschte und zusah.
Letties Stimme war nur noch ein Flüstern. »Entschuldigen Sie das bitte, Mr. Brigance.«
»Kein Problem. Mrs. Lang, wir haben eine dringende Angele genheit zu besprechen, so bald wie möglich, am besten morgen in meinem Büro. Es geht um Mr. Hubbard und sein Testament.«
Lettie biss sich auf die Lippe und starrte Jake mit aufgerissenen Augen an. Erzähl mir mehr.
Jake fuhr fort. »Am Tag vor seinem Tod hat er ein neues Tes tament aufgesetzt, das er so zur Post gegeben hat, dass ich es nach seinem Tod erhielt. Es scheint ein gültiges Testament zu sein, aber ich bin sicher, dass seine Familie es anfechten wird.«
»Komme ich darin vor?«
»Allerdings. Er hat Ihnen sogar einen beträchtlichen Teil seines Vermögens hinterlassen.«
»O Gott.«
»Ja. Er hat mich im Testament zum rechtlichen Vertreter seines Nachlasses bestimmt, aber das wird mit Sicherheit auch angefochten werden. Deshalb müssen wir uns unterhalten.«
Sie legte die rechte Hand auf den Mund. »O mein Gott.«
Jake blickte auf das Haus, dessen Licht die eingefallene Dun kelheit durchdrang. Hinter einem Fenster bewegte sich ein Schatten, wahrscheinlich Simeon. Jake verspürte den Drang, in seinen alten Saab zu springen und schnellstmöglich in die Zivilisation zurückzukehren.
Lettie nickte. »Soll ich es ihm sagen?«
»Das liegt ganz bei Ihnen. Ich hätte ihn nicht wegschicken müssen, aber ich habe gehört, dass er trinkt. Es war für mich vorhin schwer zu erkennen, in welchem Zustand er gerade ist. Andererseits ist er Ihr Mann, Mrs. Lang, und Sie sollten ihn morgen mitbringen. Jedenfalls wenn es seine Verfassung zu lässt.«
»Er wird fit sein, versprochen.«
Jake reichte ihr eine Visitenkarte. »Irgendwann morgen Nach mittag in meinem Büro. Ich werde da sein.«
»Wir kommen, Mr. Brigance. Und vielen Dank, dass Sie hier herausgefahren sind.«
»Es ist wichtig, Mrs. Lang, und ich wollte Sie unbedingt kennenlernen. Es könnte sein, dass wir einen langen, harten Kampf zusammen führen müssen.«
»Ich verstehe nicht recht.«
»Ich weiß. Ich werde es Ihnen morgen erklären.«
»Vielen Dank, Mr. Brigance.«
»Gute Nacht.«
7
Nach einem raschen, verspäteten Abendessen, bestehend aus To matensuppe und überbackenen Käsetoasts, räumten Jake und Carla den Tisch ab und spülten das Geschirr (es gab keine Spülmaschine). Dann ließen sie sich im Wohnzimmer nieder, das sich an die Küche anschloss, kaum zwei Meter vom Esstisch entfernt. Seit über drei Jahren lebten sie nun schon in diesen beengten Verhältnissen, und immer wieder mussten sie neu definieren, was ihnen wichtig war und wie sie im täglichen Umgang miteinander den Respekt wahren konnten. Hanna half dabei enorm. Kleinen Kindern sind die materiellen Dinge egal, die Erwachsene so beschäftigen. Solange beide Eltern sie mit Liebe überschütteten, war sie glücklich. Carla half ihr bei Schreibübungen, Jake las
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