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Die Erbin

Die Erbin

Titel: Die Erbin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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jedes Wort zu verschlingen, dann wieder wirkte sie abweisend, als wäre ihr alles zu viel.
    Sie fing wieder an zu weinen und sich die Wangen abzu wischen.
    »Möchten Sie denn wissen, wie viel es ist?«, fragte Jake.
    »Ich dachte, Sie würden mir das früher oder später schon sagen.«
    »Bislang habe ich noch nichts Schriftliches gesehen, Kontoauszüge oder Ähnliches. Ich war noch nicht in seinem Büro, aber das wird bald geschehen. Mr. Amburgh zufolge hat Seth Hubbard kürzlich seine Firma verkauft und damit etwa zwan zig Millionen Dollar Erlös erzielt. Mr. Amburgh denkt, das Geld liegt auf einem Bankkonto. Außerdem gibt es ein paar weitere Vermögenswerte, zum Beispiel Immobilien. Eine meiner Aufgaben ist es, alles zusammenzustellen und zu inventarisieren – für das Gericht und auch für die Begünstigten.«
    »Bin ich eine von den … Begünstigten?«
    »O ja, allerdings. Neunzig Prozent.«
    »Neunzig Prozent von zwanzig Millionen?«
    »So ungefähr.«
    »O mein Gott, Jake.« Sie nahm ein Papiertaschentuch und brach wieder in Tränen aus.
    In der folgenden Stunde kamen sie besser voran. Während Lettie immer wieder losweinte, klärte Jake sie über die Grundlagen der Nachlassabwicklung auf – Dauer, involvierte Personen, Rolle des Nachlassgerichts, Steuern und nicht zuletzt die Über tragung des Vermögens. Allerdings schien sie zunehmend durch einander. Sicherlich würde er vieles von dem, was er jetzt erklärt hatte, bald noch einmal wiederholen müssen. Was es für Probleme mit sich brachte, dass das Testament angefochten wurde, erzählte er ihr nicht, sondern wagte vorsichtige Prognosen, wie die Sache ausgehen könnte. Da Richter Atlee schwebende Verfahren und Verschleppungstaktiken von Anwälten hasste, ging Jake davon aus, dass ein Prozess bereits binnen zwölf Monaten, wenn nicht sogar früher, abgeschlossen sein könnte. Da so viel auf dem Spiel stand, würde die unterlegene Partei aber mit Sicherheit in Revision gehen, dann würden zwei weitere Jahre vergehen, bis ein endgültiges Urteil gesprochen wäre. Je klarer Lettie sah, was ihr da für ein langer Leidensweg bevorstand, umso entschlossener wirkte sie.
    Zweimal fragte sie, ob es nicht eine Chance gebe, das Ganze geheim zu halten. Nein, erklärte Jake geduldig, das sei nicht möglich. Sie fürchtete Simeon und dessen kriminelle Sippschaft und überlegte, ob es nicht das Beste für sie wäre wegzuziehen. Jake wusste in dieser Hinsicht keinen Rat, aber er hatte auch schon darüber nachgedacht, wie es ihr Leben durcheinanderbringen würde, wenn plötzlich lange verschollene Verwandte und lauter neue Freunde aus dem Nichts auftauchten.
    Nach zwei Stunden machte sie sich widerstrebend auf den Heimweg. Jake begleitete sie zum Ausgang, wo sie durch die Scheibe auf die Straße blickte, als würde sie lieber drinnen bleiben, wo sie sich sicher fühlte. Das Testament war ein Schock für sie gewesen, Jakes Erläuterungen hatten sie überfordert, doch in diesem Moment war er der einzige Mensch, dem sie vertraute. Als sie schließlich auf die Straße trat, waren ihre Augen wieder feucht.
    »Sind das Freudentränen, oder hat sie Todesangst?«, fragte Roxy, nachdem Jake die Tür geschlossen hatte.
    »Sowohl als auch, würde ich sagen.«
    Sie schwenkte einen rosa Telefonmemozettel und sagte: »Dumas Lee hat angerufen. Er ist auf einer heißen Spur.«
    »Bitte nicht.«
    »Kein Scherz. Er meinte, er kommt vielleicht heute Nachmittag vorbei, um in Seth Hubbards schmutziger Wäsche zu wühlen.«
    »Schmutzige Wäsche?« Jake nahm den Zettel entgegen.
    »Dumas findet immer was.«
    Dumas Lee schrieb für die Ford County Times und war berühmt dafür, dass er gern Fakten verdrehte und ständig Beleidigungsklagen fürchten musste. Seine Fehler waren reine Schlud rigkeit, meistens banal und harmlos. Bislang war noch nie jemand ernsthaft zu Schaden gekommen. Er hatte ein gutes Ohr für Klatsch und ein untrügliches Gespür dafür, wann sich eine gute Story anbahnte. Ausführliche Recherchen waren nicht seine Sache, aber man konnte darauf zählen, dass er ins Wespennest stach. Am liebsten hielt er sich im Gericht auf, vor allem deshalb, weil es gleich gegenüber der Redaktion lag und die meisten Akten öffentlich zugänglich waren.
    Am späten Mittwochnachmittag erschien er in Jake Brigance’ Kanzlei, nahm sich einen Stuhl vor Roxys Schreibtisch und verlangte, den Chef zu sprechen. »Ich weiß, dass er da ist«, sagte er mit einem strahlenden Lächeln, das Roxy

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