Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)
anstarrten. » Bruder Selmor ist ein Historiker, und er sagt, dass an einem Ort womöglich verschiedene Lagen von Geschichte existieren; besonders wenn eine Zivilisation einer anderen nachfolgt. «
» So viel zur Vergangenheit! « , sagte Lira ungeduldig. » Mich interessiert mehr die Gegenwart und wie wir noch etwas länger verhindern, dass unsere Erbin Teil der Geschichte wird. Bleiben wir hier, oder gehen wir weiter? «
» Viel wichtiger ist – wagen wir es, weiter in diesen Ort einzudringen, trotz unserer Verfolger? « , sagte Nhairin.
Kyr runzelte die Stirn. » Wir können hier nicht bleiben « , antwortete er. » Es ist zu offen, und wir haben immer noch einige Stunden Tageslicht vor uns. Wir sollten sie ausnutzen, um die alte Straße zu finden, die an der Westseite des Gebirgskamms entlangläuft und alle Türme verbindet. Dann folgen wir ihr nach Süden bis zur Grenzmarkierung. «
» Vorausgesetzt, die Straße ist noch da « , unkte Nhairin.
» Das ist sie. « Kyr war seiner Sache sehr sicher. » Die Straße ist wie die Wachtürme. Ihre Erbauer haben sie für die Ewigkeit geschaffen. «
Es dauerte eine Weile, bis sie die Straße fanden, denn sie war von kriechenden Reben und Unterholz überwuchert, das so hoch stand wie die Schulter eines Pferdes. Doch als sie sie einmal gefunden hatten, sah man, dass unter dem wuchernden Grün eine erkennbare Pflasterung war. Sogar die alten Meilensteine waren in die Erde eingesunken. Obwohl der Weg so verwildert war, folgten sie ihm, bis die Sonne sich dem westlichen Horizont zuneigte und die Schatten dicht in den tiefen Schluchten unterhalb von Jaransors Kamm lagen.
Kyr hielt schließlich neben einer kleinen Hochebene, wo sich weitere Ruinen befanden, die zwischen Gras und Bäumen zerfielen. Der Wachmann lenkte sein Pferd zwischen die Überreste der Fundamente, bis er ein Stück aufrecht stehender Wand entdeckte. Der Bewuchs rundherum war so dicht, dass man sich wie in einer Höhle fühlte. » Wir können die Wand als Schutz nehmen « , sagte er. » Hier wird uns so schnell niemand finden, es sei denn, sie wissen, wo sie suchen müssen. Aber kein Feuer « , fügte er hinzu, als Kalan trockenes Holz aufhob. » Das ist ein Luxus, den wir uns immer noch nicht erlauben können. «
Stattdessen schickte er Malian und Kalan zum Wasserholen. Sie folgten ihren Ohren bis zu einem kleinen Flusslauf, der durch einige Steinkanäle zwischen den Hügeln hindurchperlte. Einer davon lenkte das Wasser in ein viereckiges Becken, das ebenfalls aus Stein bestand. Das Wasser in dem Becken war tief, aber nicht schmutzig. Nur ein paar Blätter dümpelten auf der Oberfläche.
» Dieser Ort ist friedlich, nicht wahr? « , sagte Malian, als sie sich den Staub von Gesicht und Händen abgewaschen und aus ihren hohlen Händen getrunken hatten. » Ich würde gerne wissen, was hier früher einmal war. Er scheint ganz anders als der Wachturm. «
» Ein Haus vielleicht « , antwortete Kalan, » oder ein Tempel? Ich sah umgefallene Säulen dort hinten in dem hohen Gras. « Er malte mit dem Finger die abgewetzte Mauerkrone des Beckens nach. » Erstaunlich, dass die Bewässerungskanäle nach so langer Zeit noch intakt sind, wenn diese Ruinen so alt sind. «
Malian nickte. Der Wind zog einige Haarsträhnen heraus, und sie steckte sie wieder hinter die Ohren. » Es scheint doch sehr merkwürdig « , sagte sie, » so hohe Türme zu bauen, nur, um die Sterne zu beobachten. « Sie ging allein am Waldrand entlang und starrte hinaus auf das verwilderte Gebiet im Westen und auf die steilen, mit Büschen übersäten Höhen, die im Abendgold badeten. Erneut berührte sie die Großartigkeit dieses Landes – und des Himmels, der lediglich vom schwebenden Fleck des Falken durchbrochen wurde.
» Wir kamen von den Sternen « , dachte Malian und starrte zu dem Falken hinauf. » So heißt es zumindest in den Geschichten. Ich sollte mich von diesem Land nicht eingeschüchtert fühlen, egal, wie groß es ist. «
Nichtsdestotrotz war sie eingeschüchtert. » Jaransor « , murmelte sie, als ob es sie mit Macht erfüllen würde, den Namen laut auszusprechen. » Die Falkenhügel. « Blätter raschelten, und im Gras waren Schritte zu hören. Doch es war nicht Kalan, der sich neben sie stellte. » Ich habe das Gefühl, am Rande der Welt zu stehen « , sagte sie zu Kyr.
» Der ist weit hier oben « , sagte er und ließ seine Blicke über die großartige Aussicht schweifen. Sein Ausdruck war beinahe zufrieden.
» Und
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