Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)
öffnete er sie wieder. Alles, was er sah, war der Steinboden und auf beiden Seiten raue, dunkle Wände. Und doch konnte er sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er aus den Augenwinkeln einen blassen Lichtschimmer sah.
Kalan drehte schnell seinen Kopf und versuchte, ihn zu erhaschen. Doch da war nichts. Er schüttelte den Kopf. Erneut flackerte das Licht an den Rändern seiner Wahrnehmung. Diesmal blieb es und lockte ihn noch weiter die Treppe hinunter. Der Novize widerstand der Versuchung, sich umzudrehen. Das Licht wand sich und tanzte und lockte ihn noch weiter in die Dunkelheit. Angst berührte mit einem kalten Finger seinen Rücken. Er strengte sich an, etwas zu hören, irgendetwas. Doch nur Stille antwortete ihm. » Sollen die Neun es holen! « , murmelte Kalan und drehte sich um. Er hatte sich entschlossen, zur Eisentür zurückzukehren.
Weit über ihm heulte eine Stimme auf. Das langgezogene, heulende Jaulen ließ ihm alle Haare zu Berge stehen. Er erschauerte. Gleichzeitig antwortete ein weiterer gespenstischer, schwermütiger Schrei, dann noch einer, als ob sich ein überirdisches Rudel bellend an eine Fährte heftete. Die ihn umgebende Dunkelheit füllte sich mit Angst.
» Gefahr! « Die Stimme strich über die Oberfläche von Kalans Gedanken. » Beeil dich! « Wieder schimmerte Licht auf der Spirale nach unten wie ein verlockendes Flackern. Über ihm erhoben sich erneut die Jagdrufe und steigerten sich zu einem schrillen Kreischen. Kalan zögerte noch einen Moment, drehte sich dann mit einem Fluch um und warf sich noch tiefer in die Finsternis.
4 Ruf zu den Waffen
Das Licht in Malians Kopf, das mit der Stimme, die ihr die Flucht befahl, in ihren Geist geflutet war, war beinahe erloschen. Es hatte sie durch die Geheimgänge und dann abwärts geführt. Jetzt war sie tief in der Alten Burg und weit weg von allen Orten, die sie kannte. Das Licht war jetzt gedämpft. Die sie umgebende Finsternis war so dicht, dass Malian das Gefühl hatte, von ihr verschluckt zu werden.
Sie spürte, dass wohl eine Ironie des Schicksals darin läge, von der Nacht höchstpersönlich verschlungen zu werden. Außerdem fragte sie sich, ob Yorindesarinen sich wohl auch so gefühlt hatte, als sie allein und von ihren Kameraden verlassen vor dem Chaoswurm stand. Die Geschichte besagte, dass die Größe des Wurms die Sternbilder verdeckte. Doch Yorindesarinen entflammte als Antwort wie ein Stern, der vom Himmel gefallen war, um die Dunkelheit des Finsteren Schwarms zu durchbrechen. Malian fand diesen Gedanken tröstlich und versuchte sich vorzustellen, dass sie die Heldin sei, die wie ein Komet durch die Dunkelheit ihres Zeitalters zog. Sofort entflammte das Licht in ihrem Geist und erwachte weiß, klar und brillant wieder zum Leben.
Ein Schrei durchbrach die Stille der Alten Burg. Er erhob sich in heulendem Ton, bis er beinahe nur noch ein Kreischen war, und erstarb dann. Ein weiterer Schrei folgte und endete in einem wilden Durcheinander heulender Stimmen. Malians Herz schlug ihr bis zum Hals und rutschte ihr dann in die Hosen. » Flieh! « , kommandierte ihr Geist, doch die Nachtblindheit machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Sie war nur ein paar hastige Schritte weit gekommen, als ihr Fuß ins Leere trat.
» Neun! « Malian riss beide Arme seitlich hoch, um sich abzufangen. Allerdings gab es nichts, an dem sie sich hätte festhalten können. Sie kippte nach vorn und fiel kopfüber hinab bis zur nächsten Etage. Einen Moment lang lag sie regungslos flach auf dem Rücken und versuchte, sich darüber klar zu werden, ob sie noch lebte. Als sie schließlich zu dem Schluss kam, dass sie unverletzt war, musste sie ein unbändiges Verlangen zu lachen niederkämpfen.
» Also das « , sagte eine Jungenstimme, » war beeindruckend. Gehst du immer so eine Treppe hinunter? «
Malian drehte vorsichtig den Kopf und entschied, dass der Fleck noch tieferer Schwärze, der etwa eine Speerlänge entfernt kauerte, möglicherweise eine Person sein konnte. » Eigentlich nicht « , sagte sie. Sie setzte sich zögernd auf und bestätigte sich selbst, dass ihr Körper tatsächlich noch intakt war. » Nur kann ich in dieser Dunkelheit verflucht nochmal nichts sehen. «
» Nicht? « , fragte der Junge. Er zögerte und fuhr dann langsam fort: » Weil das Licht, das in dir brennt, die ganze Burg erhellen könnte. «
Malian fragte sich, ob der Sturz ihr mehr Schaden zugefügt hatte, als ihr bewusst war. Und ob der Junge, mit dem sie sprach,
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