Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)
schnell. Schnell, bevor es zu spät ist!
Sie musste diese letzten Worte laut ausgesprochen haben, denn Asantir nickte. » Da stimme ich zu. Doch wir müssen die Neue Burg absichern, bevor wir uns in die Alte Burg begeben. Wir tun unser Bestes, Nhairin. «
» Das weiß ich doch. « Nhairin sah sich um, als ein weiterer Wachmann hereinstampfte. » Was kann ich tun, um hier zu helfen? «
» Hier? Nichts « , sagte Asantir. » Aber Ihr könntet Kyr zum Tempelviertel begleiten, sehen, welche Hilfe dort benötigt wird, und diese organisieren. Ich wäre Euch äußerst dankbar. «
Es war nicht weit bis zum Tempelviertel, doch der Weg war mit Trümmern übersät. Kyr und seine Wachleute bewegten sich vorsichtig und überprüften jeden Flur, jeden Alkoven und jede Treppe. Als sie schließlich am Ziel waren, sah Nhairin bestürzt, dass die großen, seit fünfhundert Jahren versiegelten Eisentore beinahe aus den Angeln gerissen waren und in einem schiefen Winkel verdreht zur Seite hingen. Dahinter sah sie Trümmer aus Holz, Stein und Leichen, die über die ganze Vorhalle bis hin zum ersten der neun Tempel verstreut lagen.
Nhairin stützte sich an dem unversehrten Steinhäuschen am Tor ab. Es widerstrebte ihr weiterzugehen. In der Ferne hörte sie Stimmen, die Befehle riefen, und das Geräusch von Trümmern, die beiseitegeschafft wurden. Doch hier war alles still. Die Luft fühlte sich unheimlich an. Nhairin erinnerte sich an die Geschichte des Boten: » Als ob alles Leben ausgesaugt worden wäre. « Ein Schauer kroch über ihre Haut. Sie dachte, dass sie wohl besser Kyrs Truppen hineinfolgen sollte. Als sie sich aufrichtete und kurz sammelte, bemerkte sie, dass sie beobachtet wurde.
Der Beobachter war in einen grauen Umhang mit Kapuze gehüllt und versteckte sich in den Schatten gegenüber dem Torhäuschen auf der Seite des Tempels. Der Umhang verschmolz mit den Mauern, die ihn umgaben, und sein Träger stand so bewegungslos, dass Nhairin einen Moment lang dachte, die schweigende Gestalt wäre aus Stein. Ihre Haut kribbelte, als sie spürte, dass sie aus dem Inneren der Kapuze scharf begutachtet wurde. » Wer seid Ihr? « , verlangte sie zu wissen. » Was tut Ihr hier? «
» Ich könnte Euch dasselbe fragen « , kam die Antwort einer Frauenstimme. » Nur, dass ich die Antwort auf beide Fragen bereits kenne, Hofmarschallin Nhairin. « Während sie sprach, schlug sie die Kapuze zurück und enthüllte ein Gesicht von unbestimmbarem Alter. Tiefe Falten fanden sich in den Augen- und Mundwinkeln. So wie alle Gesichter an diesem Morgen, war auch dieses von Erschöpfung gezeichnet.
Nhairin zog die Augenbrauen hoch. » Korriya « , sagte sie und räusperte sich. » Doch das beantwortet immer noch nicht meine zweite Frage. Was macht Ihr hier? «
» Am Tor zum Tempel oder dem, was davon übrig ist, meint Ihr? « , fragte die Priesterin Korriya. Ihre Stimme war tief und leicht heiser. » Offiziell halte ich Wache, damit keine Nachzügler hier durchschlüpfen. Inoffiziell warte ich auf jemanden wie Euch, der Tasarion nahesteht. «
» Warum? « , fragte Nhairin geradeheraus.
Die Priesterin raffte ihren Umhang und suchte sich einen Weg über das Geröll, bis sie eine Armeslänge von der Hofmarschallin entfernt stand. Sie trat allerdings nicht über die Grenze des zerstörten Tors. Nhairin ging auch nicht auf sie zu. » Ich muss mit ihm sprechen, Nhairin « , sagte sie. » Dringend. «
Nhairin zuckte mit den Schultern. » Auf die Burg wurde ein Angriff verübt, und die Erbin wird vermisst. Er wird sagen, dass er keine Zeit für den Unsinn des Tempelviertels hat. «
Korriya sah Nhairin forschend an. » Sagt Ihr das auch? «
» Ich kann Euch nur sagen, was er sagen wird. « Nhairin strich mit dem Finger über die Narbe auf ihrem Gesicht. » Ich denke, dass es vielleicht hilfreich wäre, wenn ich wüsste, warum Ihr ihn zu sehen wünscht? «
Korriya schüttelte den Kopf. » Das ist nur für seine Ohren bestimmt. Ihr könntet « , fügte sie hinzu und ihr Ton war so ausdruckslos wie ihr Gesicht, » versuchen, ihm mitzuteilen, dass dem Tempelviertel bei diesem Angriff besondere Aufmerksamkeit zuteilwurde und es einen bitteren Preis für diese herausragende Rolle gezahlt hat. «
» Also schuldet er es seiner Ehre als Graf, Euch anzuhören? « , sagte Nhairin. » Ich glaube nicht, dass das hilfreich ist. Es gibt zu viele andere, die gelitten haben; zu viele andere Angelegenheiten, die jetzt seiner Aufmerksamkeit bedürfen – nicht
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