Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)
schlaftrunken bereits nach Kleidung und Waffen zu greifen. Sie erinnerte sich, dass sie alles verflucht hatte: die Finsternis, die Verwirrung und besonders ihre Lähmung, die verhinderte, dass sie mit den anderen Nahkämpfern, die in den Fluren, auf Treppen und in jedem Raum kämpften, Schritt halten konnte. Sie war, so war ihr im Nachhinein klar, einfach nur im Weg gewesen.
Asantir hatte sie schließlich angebrüllt, sich zurückzuziehen. Sie rannte als Hauptmann mit der halben Ehrengarde hinter sich an Nhairin vorbei. Das Licht der Fackeln flackerte wild auf ihrem Intarsienhelm und der blanken Klinge ihres Schwertes. Sie beschimpfte Nhairin als Närrin und fragte sie, ob sie getötet werden wolle. Dann rauschte sie weiter die Haupttreppe hinauf, die Wache ihr dicht auf den Fersen. Auf dem ersten Absatz begegneten sie einem Teil der schwarz gekleideten Eindringlinge. Danach gab es nur noch blutige Vernichtung aus Wirbeln, Stoßen, Schneiden und Aufschlitzen. Nhairin akzeptierte schließlich, dass sie mehr hinderte als half, und zog sich wie befohlen zurück.
Sie hatte getan, was sie konnte, um diejenigen hinter den Kampflinien zusammenzurufen. Aus den Hausdamen und jedem anderen, der willens war, formte sie Kampftruppen. Diejenigen mit Waffen und der Fähigkeit, diese auch zu benutzen, schickte sie nach vorne, um den Wachen zu helfen. Mit dem Rest organisierte sie Arzneien, Verbände und einen Ort, um die Verwundeten zu versorgen. Die Stunden zogen sich hin, und sie hatten alle Hände voll zu tun. Die Hohe Halle wurde zu einem Albtraum aus Blut und klaffenden Wunden, Stimmen, die unablässig nach Hilfe schrien, und dem Stöhnen der Sterbenden. Es gab zu viele, für die man nicht mehr tun konnte, außer ihre Leichen mit einem Umhang zu bedecken und sie in die Hallen des Schweigens zu transportieren.
Bei Tagesanbruch war Nhairin endlich in der Lage, sich einen Überblick über die blutige Hinterlassenschaft des Kampfes zu verschaffen. Sie bahnte sich vorsichtig einen Weg durch einen mit zersplittertem Holz und zerbrochenen Türen übersäten Flur. Diese markierten den Weg, den Asantir und die Ehrengarde sich freigehackt hatten, um sich vorzukämpfen. Schutt und Leichen waren auf beiden Seiten aufgestapelt. Nhairins Herz wurde schwer, als ihr bewusst wurde, dass die Zerstörung immer mehr zunahm, je näher sie dem Quartier des Erben kam. Der Boden klebte vor Blut. Zwischen den schwarz gekleideten Leichen der Eindringlinge befanden sich viel zu viele ihrer eigenen Leute. Die Gesichter der Wachen, die vor den Gemächern der Erbin standen, wurden von dem blassen Grau des Morgens erleuchtet. Sie wandten sich ab, als sie vorbeihumpelte, und wichen ihrem Blick aus.
Das hätte sie warnen müssen. Dennoch kam Nhairin ins Straucheln, und ihr drehte sich der Magen um, als sie das Blutbad in den Gemächern der Erbin sah: Doria und Nesta hatte man die Kehlen herausgerissen, die Körper der Pagen waren zerstückelt, Blut war über jede Wand gespritzt und schwarz in die Möbel gesickert. Sie erkannte, dass die Mitglieder des Hausstandes, die nicht sofort gestorben waren, umhergetaumelt und -gekrochen waren, um den Hieben zu entgehen. Es hatte sie nicht gerettet. Nhairin stützte sich mit einer Hand an der Wand ab und verschloss ihre Augen vor dem Grauen. Das Blut rauschte in ihren Ohren wie ein Ozean. Schließlich fand sie die Kraft, die alles entscheidende Frage zu stellen: » Wo ist die Erbin? «
Die Wachen schauten sich ausdruckslos an. » Nicht hier « , antwortete einer. In seiner Stimme lag dasselbe Grauen, das sie empfand. » Die Neun wissen, wir haben alles durchsucht. Unter den Toten ist sie nicht, und wir haben von den Überlebenden noch nichts gehört. «
» Aber angesichts der Vorkommnisse der letzten Nacht « , fügte ein anderer hinzu, » fürchten wir das Schlimmste. «
Nhairin war entsetzt und suchte nach Asantir. Sie fand sie inmitten der Trümmer des letzten Gefechts gegen die Eindringlinge. Asantir war umgeben von den stark mitgenommen wirkenden Überresten ihrer Garde und einer scheinbar kleinen Armee der Burggarnison. Eine Wache verband eine blutende Wunde an der Schulter des Hauptmanns. Ein Feldwebel brütete über Plänen, die am Boden ausgebreitet waren. Asantir spähte über seine Schulter und nickte, als dessen Finger auf einen Flur nach dem anderen zeigten. Die grimmigen und erschöpften Truppen standen entweder um sie herum und sahen ebenfalls zu oder waren mit ihren Verletzungen und ihrer übel
Weitere Kostenlose Bücher