Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
daneben und versuchte zu begreifen, was er getan hatte!
»Bitte kommen Sie!«, stotterte die Magd.
»Was ist los!?«
»Bitte …«
Alexandra eilte der Dienstmagd hinterher, hinunter in den ersten Stock des Hauses. Ihr Puls flog, und am liebsten hätte sie die junge Frau beiseitegeschubst, um die Stufen in Sprüngen zu nehmen. Sie folgte ihr zum Saal, das Bild vor Augen, wie
– Andreas!
mit kalkweißem Gesicht über dem röchelnden Körper von
– Melchior!
stand, während Karina mit den Fäusten auf ihn eindrosch und das Messer in Andreas’ Hand zuckte und eine zittrige Spur von Blutstropfen auf den Boden zeichnete. Sie platzte in den Saal hinein wie jemand, der ganz allein ein Burgtor aus den Angeln sprengen will.
Und prallte zurück.
Agnes, Andreas, Karina und Melchior standen in einer Ecke des Saals. In seinem Mittelpunkt, mit verschränkten Armen und finsterem Gesicht, als befände er sich am letzten Ort, an dem er sein wollte, hatte sich ein Jesuit mit feuerrotem Haar aufgepflanzt. Doch das Bestürzendste an der Situation war die Handvoll Männer mit den kurzen Spießen und den Knüppeln von Gerichtsknechten, die im Halbkreis vor Alexandras Familie standen und die Spieße eingelegt hatten, als wollten sie sie im nächsten Moment durchbohren.
Der Jesuit drehte sich langsam um. Seine Augen waren schmal.
»Damit haben wir alle beisammen«, sagte er. » Dies irae – nun erwacht der Zorn des Herrn.«
7.
»Was wollen Sie?«, brachte Alexandra hervor, nachdem der Jesuit eine Weile mit seiner ruhigen, vor Verachtung triefenden Stimme gesprochen hatte. Es war, als habe er eine fremde Sprache gebraucht. Sein Name war Pater Silvicola; alles andere drehte sich in Alexandras Kopf herum wie ein Strudel und saugte jeden klaren Gedanken in seinen Abgrund.
Der Jesuit verzog das Gesicht und antwortete nicht.
»Jemand hat Sie angelogen«, sagte Alexandra, die das Gefühl hatte, endlich einen halbwegs vernünftigen Gedanken festhalten zu können. »Wie haben Sie dieses Ding genannt? Teufelsbibel? So etwas gibt es nicht.«
»Erspare uns das«, sagte Pater Silvicola. »Aus dem, was ich gesagt habe, solltest du erkannt haben, dass ich Bescheid weiß.«
»Da haben Sie mir was voraus. Sind Sie sicher, dass Sie sich im richtigen Haus befinden?«
Pater Silvicola seufzte. Er schnippte mit dem Finger, und einer der Gerichtsknechte schaute auf. »Hol mir das kranke Mädchen her.«
Alexandras Blicke fanden die ihrer Mutter, aber Agnes’ Gesicht war steinern. Andreas’ Hals war so geschwollen wie seine linke Wange; Karinas Hand hielt seinen Arm und presste ihn so zusammen, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Melchior sah aus wie jemand, der sich überlegt, dass er eine Chance hätte, wenn er den ersten Knecht niederschlagen, ihm den Spieß entreißen, den zweiten und dritten damit durchbohren, den vierten und fünften mit ihren eigenen Rapieren unschädlich machen und dann den Jesuiten zum Fenster hinauswerfen könnte. Mit einem Entsetzen, das wie mit einem Ruck in ihre Glieder schoss, erkannte Alexandra, in welcher Situation sie sich tatsächlich befanden. Und was das Wissen des Jesuiten bedeutete …
»Hier gibt es kein krankes Mädchen«, hörte sie sich sagen.
»Sie heißt Lýdie Khlesl, sie war dem Tod näher als dem Leben, doch der Teufel hat sich ihre Seele geholt, bevor Gott sie zu sich nehmen konnte.«
»Lýdies Seele hat mit dem Teufel nicht das Geringste zu tun!«, zischte Karina.
Der Jesuit beachtete sie nicht. Der Gerichtsknecht wartete auf eine Anweisung.
»Lassen Sie sie in Ruhe. Wenn Sie ihr auch nur ein Härchen krümmen, kratze ich Ihnen die Augen aus!«, drohte Alexandra.
Der Jesuit schnaubte. »Ich habe nichts anderes erwartet.«
»Was wollen Sie von uns? Sollten Sie nicht lieber in denKellern und Dachböden von Würzburg nach den scheinheiligen Verbrechern suchen, die neunhundert Menschen auf den Scheiterhaufen gebracht haben?«
»Es war klar, dass eine solche Aussage von deinesgleichen kommen musste«, sagte der Jesuit. »Und was ich will, habe ich bereits gesagt.«
»Was is’ jetz’, Pater?«, fragte der Gerichtsknecht.
Der Jesuit machte eine Kopf bewegung, und der Mann rollte mit den Augen und wandte sich wieder seiner Aufgabe zu, die Khlesls zu bewachen. »Der junge Mann«, sagte Pater Silvicola. »Melchior Khlesl.« Alexandra hatte nur einmal in ihrem Leben gehört, wie der Name ihrer Familie mit solcher Abneigung ausgesprochen wurde, und das feiste Gesicht, das mit der
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