Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
Gesichtsfelds tanzten. Das Pferd schwitzte und schäumte handtellergroße Flocken.
In ihrem Kopf kreischte eine Stimme wieder und wieder: Das ist Wahnsinn! Was tue ich da?
Das Pferd ging von sich aus in einen langsameren Trab über. Die unregelmäßige Gangart schüttelte Alexandra durch. Ihre Wangen glühten, ihre Hände und Füße waren eiskalt.
Was würden Agnes und die anderen von ihrer Abreise ohne jeden Abschied denken? Dass sie geflohen war? Oder würde der Jesuit ihnen die Lage erklären?
Die Panik stieg von Neuem in ihr hoch. Beinahe hätte sie sich selbst eine Ohrfeige gegeben, um aus diesem Albtraum aufzuwachen, aber ihr war nur zu bewusst, dass es kein Traum war. Mein Gott, war sie wirklich unterwegs, um die Teufelsbibel zu stehlen? Es war vollkommen undenkbar, dass sie dergleichen tat!
Und was hielt sie davon ab, sofort nach ihrer Ankunft in Prag mit ihrem Vater und ihrem Onkel Andrej zu sprechen und sie um Hilfe zu bitten? Den beiden würde etwas einfallen, und wenn es nur das war, an der Spitze einer Kompanie von frisch angeworbenen Soldaten nach Würzburg zu marschieren und die gefangenen Familienmitglieder mit Gewalt zu befreien.
Natürlich – und einen Privatkrieg mit dem Fürstbischof von Würzburg und dem Orden der Jesuiten zu beginnen,während der aktuelle Krieg noch nicht einmal zur Gänze beendet war!
Aber Cyprian würde etwas Intelligenteres einfallen als das. Er und Andrej würden die Teufelsbibel selbst nach Würzburg bringen, und es musste schon mit dem Teufel zugehen, wenn sie den verrückten Jesuiten nicht …
… einen Augenblick! Und wenn es genau das war, was Pater Silvicola wollte? Sie alle in die Hand bekommen? Wenn er damit rechnete, dass sie, Alexandra, das hilflose Weib, sich an ihren Vater wenden und dadurch die letzten freien Familienmitglieder in die Falle locken würde?
Das Pferd wieherte und schüttelte die Mähne, als ob Alexandras hektische Gedanken sich erneut auf es übertragen würden. Es scharrte mit den Hufen. Alexandra zog an den Zügeln, und in seiner Nervosität tanzte der Gaul auf der Stelle und drehte sich einmal um sich selbst. Alexandras Herzschlag raste, ihre Gedanken überschlugen sich.
Er hatte gesagt, dass er die Teufelsbibel wollte. Es ging ihm nur um sie.
Aber einer seiner Verbündeten war Sebastian Wilfing. Dass Agnes’ ehemaliger Verlobter sie und den Rest der Familie genug verabscheute, um ihnen ein Leid anzutun, lag auf der Hand. Dass er halb verrückt vor Eifersucht und blankem Hass auf Cyprian war und ihn eigenhändig ermorden würde, wenn er nur könnte, war klar. Alexandra hatte sich zusammengereimt, dass Sebastian irgendwie in die Hexenverfolgungen in Würzburg verwickelt war; sie zweifelte keinen Augenblick, dass dies zu seinem Charakter passte. Sie hatten Sebastian aus den Augen verloren – und aus dem Gedächtnis. Ein schrecklicher Fehler …
… der sich nun vielleicht umso bitterer rächen würde, wenn Alexandra ihren Vater tatsächlich einweihte. Sebastians Abmachung mit dem Jesuiten mochte über das hinausgehen, was sie ursprünglich vermutet hatte: dass seine Hilfeund seine falschen Schwüre ihn bei den Verhandlungen gegen die Hexenbrenner entlasten würden. Sie mochte weiterhin enthalten, dass ihm, Sebastian, Cyprian Khlesls Kopf gehören würde. Cyprians eigene Tochter wäre dann diejenige, die ihren geliebten Vater seinem Mörder zuführte!
Und Andrej von Langenfels, ihr Onkel? Wenn sie versuchte, ihn allein …? Aber Andrej würde Cyprian nicht hintergehen, schon gar nicht, wenn es um die Teufelsbibel ging.
Es blieb ganz allein an ihr hängen. Und sie hatte nicht einmal genügend Zeit, über einen geschickten Plan nachzusinnen. Die Zeit reichte gerade, nach Prag zu gelangen, in die Burg einzudringen, das Buch zu stehlen (wie sollte sie das riesige Monstrum nur transportieren ohne Hilfe? Und wie sollte sie überhaupt an es herankommen!?) und nach Würzburg zurückzukehren. Und dabei durfte nichts, aber auch gar nichts schiefgehen. Sie schluckte. Der Atem wurde ihr schon jetzt knapp. Aber allmählich drang eine kühlere Stimme durch das panische Gellen in ihren Ohren, eine Stimme, die sagte: Dann solltest du besser darüber nachdenken, anstatt den Kopf zu verlieren. Du kannst es schaffen.
Sie konnte es schaffen und ihre Familie retten. Es war geradezu ein Hohn. Die Khlesls, die die Teufelsbibel immer so sehr gefürchtet hatten, würden ihr am Ende ihr Leben verdanken!
Die kühle Stimme meldete sich wieder: Hast du
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