Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
lediglich nach ihren Angaben orientiert, seit wir aufgebrochen sind, und sie haben uns exakt hierhergeführt.«
»Wie schön.«
Sie trieb ihr Pferd wieder an. »Morgen um die Mittagszeit halten wir die Teufelsbibel in Händen.« Sie holte tief Atem. »Weißt du, dass dieser Krieg nicht zuletzt in Braunau angefangen hat, der Stadt, die unser Ziel ist? Die gegenseitige Aufrüstung der protestantischen Union und der katholischen Liga hat begonnen, nachdem die Protestanten die Stellvertreter des damaligen böhmischen Königs Ferdinand aus demFenster der Burg geworfen haben. Diese Tat war jedoch nur die Antwort auf die Ereignisse in Braunau.«
»Die Schließung der neu erbauten protestantischen Kirche.«
Ebba nickte. »Wahrscheinlich ist es auch passend, dass ein Buch wie die Teufelsbibel hier versteckt ist.«
»Ich dachte, du glaubst nicht an einen Fluch?«
Sie zog die Schultern hoch. »Es fröstelt mich, daran zu denken, dass wir noch heute Abend den Ort erreichen, an dem ein Krieg begonnen wurde, der älter ist als ich selbst.«
»Was wird uns dort erwarten?«
»Braunau war damals die reichste Stadt in der ganzen Umgebung und das Kloster riesig und voller Kunstschätze. Was uns erwarten wird? Ein wenig verblichene Größe, nehme ich an. Der Krieg hat hier angefangen, aber er ist nicht bis hierher vorgedrungen.«
Samuel dachte an Ebbas Worte von der »verblichenen Größe«, als er am nächsten Tag durch das Kloster stapfte. Der Bau war riesig, mit Mauern, die wie Klippen emporragten und auf einer Seite den steilen Felsen, unter dem sich die Unterstadt Braunaus zusammenkauerte, in den Himmel hinein verlängerten. Türme saßen auf den Mauern wie Wehrbauten einer Festung, die äußeren Pfeiler des Strebewerks an der Klosterkirche erinnerten an Messerklingen. Ihr Weg hatte sie von der Unterstadt eine enge, steile Schlucht empor zur oberen Stadt und zur Klosterpforte geführt, begleitet von den finsteren Blicken einer Handvoll ärmlich gekleideter Menschen, die beim Klang des Hufgetrappels aus ihren Hütten im Schlagschatten des Stadtfelsens gekrochen waren und die auf Samuel gewirkt hatten wie Aasvögel, die sich voller Hoffnung auf Beute zusammenrotten.
»Ich glaub nich’, dass wir hier irgendwas finden außer Asche«, sagte Björn Spirger und ließ einen nassen schwarzenKlumpen, dem man ansah, dass er einmal ein dicker Foliant gewesen sein musste, mit angeekelter Miene fallen. Seine Hände waren mit feuchtem schwarzem Schlick überzogen; ärgerlich sah er sich nach etwas um, an dem er sie abwischen konnte, und fand schließlich seine Hosen.
Samuel seufzte. Er spähte in den Himmel und dachte zum wiederholten Mal daran, dass man aus dem Inneren einer Bibliothek den Himmel eigentlich nicht sollte sehen können. In der Klosterbibliothek von Braunau war das anders: Der Himmel schien herein, eingerahmt von den geschwärzten Balken des ehemaligen Dachs. Samuel schob ein paar angekohlte Bretter mit dem Fuß beiseite und legte ein Stück Pergament frei, auf dem die Hälfte einer Initiale zu sehen war; der Rest war verbrannt und hatte als einzige Spur einen unregelmäßig gezackten schwarzen Rand auf dem Pergamentrest hinterlassen. Die Initiale war kunstvoll verschnörkelt. Das Pergamentstück mochte seit dreißig Jahren hier unter den Brettern gelegen haben; die Witterung hatte alle Farbe aus dem Kunstwerk getilgt außer den roten Umrissen der Kapitale und dem tiefen Indigo an einigen Stellen. Goldfasern schimmerten auf dem dunklen Blau. Man konnte sehen, dass man es mit etwas zu tun hatte, was einmal schön und Ehrfurcht gebietend ausgesehen hatte. Der Pergamentrest war das Kloster von Braunau im Kleinen. Samuel schüttelte den Kopf. Die Enttäuschung lag wie ein Stein in seinem Magen.
»Was ist mit den Leuten an der Klosterpforte?«, fragte Samuel.
Einer der Männer, den Samuel als Wächter an einer Fensteröffnung postiert hatte, sagte über die Schulter: »Sind mehr geworden, Rittmeister.«
»Geschätzte Anzahl?«
»Ohne die Frauen und Kinder? Hundert.«
Samuel brummte. Er fing einen Blick Björn Spirgers auf.»Hundert zerlumpte Jammergestalten, Björn«, sagte er. »Kein Grund zur Sorge.«
»Hab ich was gesagt, Rittmeister?« Spirger zuckte mit den Schultern.
»Was ist mit unserem speziellen Freund?«
»Ist immer noch da«, erwiderte der Mann am Fenster.
Samuel trat zur Fensteröffnung und spähte hinaus. Die Klosterpforte lag am Ende einer Gasse, die direkt vom Braunauer Marktplatz herführte. Die
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