Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman

Titel: Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
Vom Netzwerk:
Gasse war grau und braun von den Leibern der Menschen, die sich dort stumm versammelt hatten. Sie verhielten sich so lautlos, wie sie gekommen waren. Wenn Samuel niemanden am Fenster postiert hätte, wäre den Småländern die Versammlung nicht einmal aufgefallen. Die Gestalten waren herbeigetrieben fast wie Schatten, die aus Winkeln und Ecken wachsen, wenn das Licht sich zurückzieht, und sie gaben keinen Ton von sich. Sie starrten nur. Starrten zum Kloster, und je länger man ihnen dabei zusah, desto kälter konnte es einem werden. Auf dem Weg die Schlucht herauf war Samuel der Vergleich mit Aasvögeln eingefallen, als sie die stumm starrenden, erbärmlichen Menschen in der Unterstadt passiert hatten. Der Vergleich hinkte – Aasvögel warteten auf Beute, und sie warteten voller Geduld. Jene dort draußen warteten nicht auf Beute, sondern auf … ja, was? Erlösung, schoss es Samuel durch den Sinn; und was ihr Warten auszeichnete, war nicht Geduld, sondern Hoffnungslosigkeit. Er legte dem Mann neben sich die Hand auf die Schulter.
    »Unheimlich, Rittmeister, nicht wahr?«
    Samuel nickte. »Sie warten darauf, dass wir das verdammte Ding endlich wegbringen«, murmelte er.
    »Was?«
    Samuel machte eine Kopf bewegung zum Fenster hinaus. »Die Teufelsbibel. Sie warten, dass wir den Fluch von ihrer Stadt nehmen.«
    »Du liebe Güte, Rittmeister! Die sehen eher aus, als warteten sie darauf, dass sie uns auffressen können, wenn wir unsere Nasen zum Tor rausstrecken.«
    Samuel knetete die Schulter des Mannes. »Besser, als von den Raben draußen auf dem Feld gefressen zu werden, oder von den Würmern, nicht? Was ist los, Corporal Brandestein? Heute ist doch ein guter Tag zum Sterben, oder nicht?«
    »Kein Tag ist ein guter Tag zum Sterben, Rittmeister.«
    Samuel tätschelte dem Mann die Wange und erntete ein Grinsen. »Komm schon, Gerd«, sagte er. »Ich wusste gar nicht, dass du ein Philosoph bist.«
    »Wäre es glaubwürdiger, wenn ich in einem Rollwägelchen sitzen und merkwürdige Handbewegungen machen würde?«
    Sie blickten beide wieder hinaus zum Fenster. Samuel schien es, als seien in den letzten Augenblicken weitere Gestalten hinzugekommen, ebenso lautlos, ebenso schattenhaft, ebenso unvermittelt wie die anderen. Während sie vor der unsichtbaren Grenze haltmachten, die der halb zusammengefallene Torbau des Klosters beschrieb, war ein einzelner Mann weiter vorgedrungen. Er hockte in einer Art mit Stroh und Decken gepolsterter Kiste, die wie ein niedriger Leiterwagen aussah. Seine Beine baumelten nutzlos links und rechts herab, dürre, blasse Stöcke, unbedeckt trotz der Kälte, mit Schmutz überzogen. Sie mussten vollkommen abgestorben sein. In der rechten Faust hielt er eine Art Trippe, wie sie die Damen in Schweden trugen während des Frühlings, damit ihre schönen Schuhe nicht im Morast der Gassen versanken; die Trippe hatte einen Handgriff, mit dessen Hilfe er sie nutzen konnte, um sich selbst vom Boden abzustoßen. Ein zweites Exemplar lag in seinem Schoß; der linke Arm war erhoben und winkte beständig zum Kloster hin. Es war klar, dass er ihnen ein Zeichen gab. Langes graues Haar bedeckte seinen Kopf bis zu den Schultern undverhüllte sein Gesicht. Es sah aus, als winke der Tod ihnen zu.
    Gerd Brandestein hob eine Hand, um zurückzuwinken. Samuel packte sie.
    »Warte«, sagte er. »Wir sollten erst wissen, worauf wir da antworten.«
    Der Corporal sah ihn mit aufgerissenen Augen an.
    »Schön weiter aufpassen, Corporal Brandestein«, erklärte Samuel und wandte sich ab.
    Ebba stapfte herein. »Es sieht nirgends besser aus«, sagte sie und ballte die Fäuste. »Das Kloster ist eine Ruine, und die Stadt ist halb verlassen.«
    »Es scheint, dass die Jesuiten doch nicht alles wussten«, meinte Samuel.
    »Nein, offenbar wussten sie nicht alles. Eigentlich wussten sie das Wichtigste nicht. Jäklar! « Sie zeigte zum Fenster. »Wird das da draußen ein Problem?«
    »Das wissen wir erst, wenn klar ist, ob sie uns wieder rauslassen wollen oder nicht.«
    »Und wenn nicht?«
    Samuel musterte sie und lächelte. »Keine Angst, Euer Gnaden. Gewöhnlich sind wir es, die für die anderen ein Problem darstellen.«
    Ebba schnaubte verächtlich. Samuel machte eine weit ausholende Armbewegung in die zerstörte Bibliothek hinein.
    »Was würdest du sagen: Wie lange ist das alles hier schon in diesem Zustand?«
    Ebba zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Fünf Jahre?«
    »Ich bin an genügend zerstörten Häusern, Kirchen

Weitere Kostenlose Bücher