Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
Kurfürstentag in Regensburg Wellen geschlagen, aber mit dem Krieg und dem Vorrücken der Schweden und dem allgemein schlechten Zustand des Reichs waren die Wellen nicht mehr gewesen als Gischt an einer ansonsten unzerstörbaren Klippe aus Überheblichkeit, Machtbewusstsein und Skrupellosigkeit, die Johann Georg von Dornheim hatte erstehen lassen. Tatsächlich hatte erst die Eroberung der Stadt durch die Truppen Gustav Adolfs den Verbrennungen ein Ende gesetzt; der Fürstbischof war bereits vorher geflohen, und zwar derart, dass er erst in Kärnten wieder zum Halten gekommen war, wo ihn ausnahmsweise die göttlicheGerechtigkeit in Form eines Schlaganfalls ereilt hatte. Die Schweden hatten die Stadt, nicht zuletzt dank des Interesses von Herzog Bernhard von Weimar, dem vermeintlichen Erben des Schwedenkönigs, danach noch dreimal besetzt. Heute ähnelte sie, was den Zustand der Häuser betraf, Würzburg, aber die Stimmung der Bewohner war düsterer, der Nebel, der von den beiden Armen der Regnitz aufstieg und das dürre Geäst der Bäume mit Raureif überzog, roch nach Tod und Verwesung, und im Dom wuchs das Gras.
Alexandra hörte die Ausführungen des Schankwirts, der die mehrhundertjährige Geschichte des Hauses zum Blauen Löwen erzählte, bestehend aus Zank mit dem nahen Dominikanerkloster und Besitzerwechseln infolge von Überschuldung. Gemessen daran musste der Mörtel, der die Steine zusammenhielt, zu drei Vierteln aus Ärger bestehen; vielleicht war dies der Grund, warum es nicht vollends in sich zusammengefallen war, als ein Kanonenschuss der schwedischen Armee das Dach getroffen hatte. Es schien, dass die Konzession des Wirts, Bier auszuschenken und Mahlzeiten anzubieten, weniger durch einen aktiven Willensakt des Stadtrats als vielmehr durch aktives Wegschauen des derzeitigen Bürgermeisters entstanden war. Es machte Sinn – in einer Stadt, in der die Kriegswunden noch überall sichtbar waren, war der Fleiß eines einzelnen Bürgers ein Hoffnungsschimmer auf die Rückkehr zur Normalität. Abgesehen davon war die Qualität von Speise und Trank durchaus empfehlenswert. Alexandra nickte zum Redefluss ihres Gegenübers und streute das eine oder andere »Was Sie nicht sagen!« ein; die Worte plätscherten unverstanden an ihr vorbei, und was es ihr ermöglichte, an den richtigen Stellen zu nicken, war die Tatsache, dass sie die gleiche Geschichte schon bei der Herreise vernommen hatte. Nichts hätte ihr mehr egal sein können als das Schicksal des Hauses zum Blauen Löwen, seiner Besitzer, der Bürger Bambergs oder das der ganzen Welt. Sie schlang dasEssen hinunter, ohne zu merken, was es war, und weniger die Erkenntnis, dass ein Reisender auch einmal rasten muss, als die schiere Erschöpfung von Pferd und Reiterin hatten sie dazu gebracht, überhaupt in Bamberg haltzumachen.
Dann stellte sie fest, dass sie sich von einer Atempause zu einem gemurmelten »Das ist ja unglaublich!« hatte hinreißen lassen, obwohl ihr Gesprächspartner seine Aussage gar nicht zu Ende gebracht hatte. Sie blickte auf und erkannte, dass er sich unterbrochen hatte und über ihre Schulter spähte mit einem Ausdruck, der von Furcht bis zu Verachtung reichte. Es lief ihr kalt über den Rücken. In diesem Augenblick war sie sich sicher, dass Pater Silvicola einen seiner Ordensbrüder hinter ihr hergeschickt hatte, um ihr mitzuteilen, dass er es sich anders überlegt habe und dass sie umkehren solle, um mit ihrer Familie zusammen sofort verbrannt zu werden.
»Wenigstens stimmt die Familienzugehörigkeit«, sagte eine Stimme hinter ihr. Sie hörte das Grinsen darin. Langsam drehte sie sich auf der Sitzbank um.
»Und im Grunde genommen«, sagte die Stimme, »sehe ich dein Gesicht auch viel lieber als das deines Bruders. Wenngleich ich ihn hier erwartet habe und nicht dich.«
Der Schankwirt stand auf, kramte in seiner Börse und drückte dem Mönch, der vor ihrem Tisch stand, ein Geldstück in die Hand. »Bete für dieses Haus, Bruder«, brummte er; man konnte förmlich den Zusatz hören: Aber sei so gut und tu es draußen. Jemand, der auf dem Erbe von zweihundert Jahren Hader mit dem benachbarten Kloster saß, musste vielleicht auch nicht gut auf eine Kutte zu sprechen sein, erst recht nicht, wenn diese so schwarz war wie die Nacht.
Wenzel betrachtete das Almosen mit einer hochgezogenen Augenbraue, dann zuckte er mit den Schultern und steckte es ein. »Dankeschön«, sagte er. »Und Gott segne dieses Haus und all seine Bewohner und
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