Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
früherer Besitzer ihn nie mehr zurückfordern würde. Zwei Gürtel kreuzten sich über seinem Oberkörper und hielten Rapiere, die links und rechts an seiner Hüfte hingen. Vorne aus dem Leibgurt ragten Pistolenknäufe. Die Füße steckten in hellen Lederstiefeln mit großen, broschengeschmückten Schmetterlingen auf dem Rist und blinkenden Sporen daran. Er trat aus dem Schatten heraus, und ein Dutzend noch abenteuerlicher gekleideter Männer tat es ihm gleich – lautlos, gleitend, als hätten sie sich nicht in den Schatten versteckt, sondern sich vielmehr in ihnen geformt. Wenzel und seine Mönche bildeten einen Halbkreis um Alexandra und ihr Pferd, aber es war klar, dass sie umzingelt waren.
»Seht her, meine Kinder«, wisperte der junge Mann. »Johannes hat euch Beute versprochen, und da ist … Beute!«
Seine Männer kicherten.
Der junge Mann schlenderte auf sie zu und blieb ein paar Schritte vor ihnen stehen. Er schnupperte. »Heiliges Fleisch«, flüsterte er. Seine Blicke krochen über Alexandra, ohne dass sich das irre Flackern seiner Augen verändert hätte. »Und geiles Fleisch. Was sagt ihr zu so einer Beute … Kinder?«
Die Männer, die aus den Schatten gekommen waren, brüllten: »Johannes!« Alexandra zuckte zusammen. Aus der verrammelten Kirche wurden entsetzte Schreie hörbar.
»Ich glaube«, sagte Wenzel, »dass du noch nie etwas vom Elften Gebot gehört hast.«
Der junge Mann wandte sich an ihn. »Haben wir hier den Obermönch, hmm? Haben wir hier den Anführer des … heiligen Fleisches?«
Wenzel lächelte kühl. »Bevor ich versuche, es dir zu erklären: Ja, ich bin der Obermönch.«
»Schön, schön, schön …« Der junge Mann musterte Wenzel. Er hob die linke Hand und lüpfte seinen Hut. Mit der Rechten fuhr er sich durch das lange, verfilzte Haar, dann setzte er den Hut wieder auf. Alexandra starrte wie gebannt auf die offene Hemdbrust, in der blasse, schmutzige Haut sichtbar war, unter der sich die Rippen und das Brustbein abzeichneten. Der junge Mann schnupperte an der Handfläche seiner Rechten, dann begann er daran zu lecken, gierig, wie ein Hund, der Mark aus einem Knochen zu saugen versucht. Die irrlichternden Augen ließen Wenzel nicht los. Der Wahnsinnige nahm die Hand von seinem Mund. Speichel tropfte von ihr herab. Er trat vor und legte sie Wenzel auf die Brust, wie eine freundschaftliche Berührung. Wenzels Blicke schwenkten seitwärts, und er schüttelte kaum merklich den Kopf. Bruder Cestmir war plötzlich einen Schritt näher herangeglitten. Der kleine Mönch presste die Lippen zusammen und ließ die Schultern sinken.
»Wir kennen keine Gebote, Obermönch, außer denen von … Johannes.«
So plötzlich, dass Alexandra keuchte, wirbelte der Irre herum.
»Johannes!«, schrie er.
»Johannes!« , brüllten seine Männer.
» Ich bin Johannes!«, schrie der junge Mann und drehte sich um die eigene Achse. Aus der Kirche ertönte das angsterfüllte Gemurmel eines Stoßgebets. »Johannes! Der Steinerne Johannes! Ich bin der Steinerne Johannes! ICH BIN DER UNVERW UNDBARE!« Er riss sich das Hemd mit einem Ruck von den Schultern; die gekreuzten Gurte glitten herab, und mit weit ausgestreckten Armen drehte er eine weitere langsame Pirouette. »Ich bin JOHANNES!«
»JOHANNES!«
Der Oberkörper des jungen Mannes sah aus wie der eines Leichnams – mager bis zur Auszehrung, jede Rippe deutlich sichtbar, der Bauch so hohl, dass sich die Bauchmuskeln wie zwei Stränge darauf abzeichneten, die Schlüsselbeine standen hervor. Alexandra sah die Narben: daumennagelgroß dort, wo die Kugeln einmal eingetreten sein mussten, handtellergroß dort, wo sie den Körper wieder verlassen hatten. Einund Ausschussnarben fanden sich gleichmäßig über Rücken und Vorderseite verteilt. Vier, fünf, sechs Schüsse mussten den Mann getroffen haben, dem Zustand der Narben nach zu verschiedenen Zeiten seines Lebens. Keine davon hatte ihn getötet. Der Teufel hatte ihn aufgespart.
»JOHANNES! JOHANNES!«
Als wäre nichts gewesen, raffte der junge Mann das Hemd zusammen und zerrte es wieder über seine Schultern, wand sich in die Gurte. Dann trat er erneut vor Wenzel hin.
»Ich bin Johannes«, flüsterte er. »Erzähl mir etwas vom … Elften Gebot.«
Durch die Reihen der Männer, die sie umzingelten, lief ein Schnappen und Scharren. Ein Dutzend Musketen war plötzlich auf sie gerichtet, Radschlossgewehre und solche, an denen Lunten glommen. Das Kichern von verdammten Seelen, die ein stummes
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