Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman

Titel: Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
Vom Netzwerk:
gesehen?«
    Samuels Augen wurden schmal. »Welchen Abt?«
    Der Alte stöhnte und begann zu zittern. »Abt Wolfgang. Der alte Abt. Er ist noch im Kloster. Er … und die Sieben …« In der Menge hinter ihm entstand Gemurmel.
    Samuel und Alfred wechselten einen Blick. Alfreds Rechte war auf einmal nur noch eine Handbreit vom Griff seines Knüppels entfernt.
    »Welche Sieben?«
    »Die Schwarzen Mönche. O Herr im Himmel … ihr müsst sie doch gesehen haben …«
    »Wann hast du sie denn das letzte Mal gesehen?«
    Der alte Krüppel bekreuzigte sich. »Niemals!«, stieß er hervor. »Niemals! Der Abt und die Sieben sind tot, seit ich … seit ich … ein Junge war… sie sind tot, allesamt … erschlagen… verbrannt …« Er richtete sich mit irrem Blick auf. »Habt ihr sie gesehen?«
    Ebba lief es noch kälter den Rücken hinunter als zuvor. Sie musterte Samuels schmale Augen und dachte daran, wie ihre Mutter sie einmal gewarnt hatte, an bestimmten Tagen zwischen die alten Grabhügel auf ihrem Besitz zu geraten. Was immer dort wandelt – wandelt allein , hatte sie geflüstert.
    »Wir haben sie gesehen«, sagte Samuel.
    Ebbas Kopf flog zu ihm herum. Der Alte begann noch stärker zu zittern. Sein Gesicht verzerrte sich wie im Schmerz.
    »Sie waren alle da«, sagte Samuel. »Wir … haben sie beerdigt.«
    Der Mund des Alten zuckte.
    »Sie liegen in geweihter Erde«, sagte Samuel. »Und was immer gewesen ist und was immer ihre Seelen noch auf Erden festgehalten hat – ist ihnen verziehen.«
    Aus den Augen des Krüppels rollten jetzt Tränen. Seine Hand machte fahrige Gesten und zeichnete plötzlich ein Kreuz in die Luft.
    »Seid gesegnet«, schluchzte er. »Seid gesegnet. Seid gesegnet …«
    Samuel tippte sich ein drittes Mal an die Hutkrempe. Alfreds Hand entfernte sich wieder vom Griff seines Knüppels. Samuel zog das Pferd herum und trabte mit ihm in die nächstgelegene der beiden breiten Gassen hinein, die in westlicher Richtung vom Marktplatz wegführten. Ebba war, als höre sie den Alten in seinem Leiterwagen immer noch schluchzen: Seid gesegnet …
    Samuels Pferd begann zu galoppieren, und sie drückte ihrem Gaul die Sporen in die Flanken und schloss zu ihm auf.
    »Warum hast du das getan?«, rief sie.
    Er reagierte zuerst nicht, dann schenkte er ihr einen Seitenblick.
    »Es waren die Braunauer Bürger, die das Kloster angezündet haben, damals«, rief er zurück. »Das ist doch vollkommen klar. Sie haben es angesteckt und die Mönche vertrieben, und dann hatten sie dreißig Jahre Zeit, ein schlechtes Gewissen zu haben. Ich bin überzeugt, dass der Abt und die Mönche nicht im Kloster umgekommen sind – sonst hätten wir irgendwelche Überreste gefunden. Ist dir nicht aufgefallen, dass sich selbst der alte Krüppel nur ein paar Ellen weit in den Klosterbereich hineinwagte? Ich sage dir, keiner der Braunauer hat die Klosterruinen in den letzten dreißig Jahren betreten. Sie hatten dieses rußgeschwärzte, verfallende Monstrum genau in ihrer Mitte, und mit jedem Tag, den sie es vor Augen hatten, erinnerten sie sich auch daran, wie sie es in Brand gesteckt hatten. Der Abt und die Mönche wandelten darin? Für die Braunauer hat das gestimmt. Es sind nicht die Toten, die ihre Seelen auf Erden zurücklassen, sondern es sind die Lebenden, die sie nicht gehen lassen wollen.«
    Er spornte sein Pferd an, und es preschte mit weit ausholendem Galopp davon. Ebba presste die Lippen zusammen, dann schlug sie ihrem Pferd mit der Hand auf die Kruppe. Es machte einen Satz nach vorn und holte Samuel wieder ein. Einige Augenblicke lang jagten sie nebeneinander her, schweigend und ohne einen Blick zu wechseln. Die Småländer blieben hinter ihnen zurück.
    »Aber warum?«, keuchte Ebba. » Warum hast du sie angelogen?«
    »Weil diese Stadt und ihre Menschen eines am dringendsten brauchen: die Zuversicht, dass irgendwann einmal alles vergeben ist.«

17.
    Grafenwöhr war nicht viel mehr als ein Fleck in der Landschaft, und die Landschaft selbst sah trotz der dünnen Schneedecke zerschlissen, erschöpft, siech aus. Dutzende von Hüttenweihern, nun zugefroren und von Schnee bedeckt, gaben der Umgebung ein pockennarbiges Gesicht. Der Himmel hing darüber, als quelle aus den Kaminstümpfen der Erzhütte immer noch der bleifarbene Rauch. Die Ortschaft selbst war ein gebrochenes Muster aus Schwarz und Weiß: schwarz von den verrußten, halb verbrannten Häusern, Weiß vom Leichentuch des Schnees.
    »Entweder wir rasten hier, oder es

Weitere Kostenlose Bücher