Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
nicht gefeit war gegen Seuchen, Verletzungen, Überfälle …
Cyprian blickte auf. Einmal mehr schien er Andrejs Gedanken erraten zu haben. Er nickte ihm zu, dann nestelte er die Kapsel auf. Der Mönch machte einen langen Hals. Cyprian spähte auf die winzige Papierrolle, dann hielt er sie auf Armeslänge von sich. Er schüttelte den Kopf. Andrej nahm sie ihm ab und versuchte seinerseits sein Glück. Als er die Rolle dabei immer näher an sein Gesicht hielt, grunzte Cyprian mit bitterem Amüsement.
»Haben wir so was jemals lesen können?«, brummte er.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte der Mönch, der auf den Sandalen wippte vor Neugier.
Andrej händigte ihm die Rolle aus. Der Mönch kniff die Augen zusammen. »Oh … das ist von Herrn Melchior.«
»Meinem Sohn!?«
Der Mönch las mit sich bewegenden Lippen. Als seine Brauen sich dabei immer weiter zusammenzogen, fühlte Andrej, wie ihm kalt wurde. Er hing an den lautlos lesenden Lippen, als erwarte er von ihnen sein Urteil.
»Wie wär’s mit einem Zwischenstand?«, knurrte Cyprian.
Der Mönch blickte auf. Er war blass geworden. »Oh, meine Herren … oh, meine Herren …«, stotterte er.
Andrej hielt Cyprians Arm fest, als dieser sich bewegte; zur Hälfte tat er es, weil er das Gefühl hatte, er müsse sich an seinem Freund festhalten. Cyprian ignorierte seine Hand und nahm die Rolle an sich. Andrej sah bestürzt, dass Cyprian zitterte.
»Ein Jesuit hat Ihre Familie gefangen genommen, Herr Khlesl!«, stammelte der Mönch. »Er bringt sie von Würzburg aus nach Osten. Nach Prag, nimmt Herr Melchior an. Herr Melchior hat fliehen können. Er hat diese Nachricht von Banz aus hierhergeschickt … wir haben natürlich eine Brieftaubenverbindung nach Banz … äh … wir sollen die Botschaft nach Prag an Sie beide weiterleiten … aber Sie sind ja ohnehin hier …« Der Mönch verstummte unglücklich.
Andrej wollte rufen: Was soll das? Wer ist dieser Jesuit? Was will er? Aber er wusste nur zu gut die Antworten auf diese Fragen und hielt den Mund. Während sie nach dem Jungen gesucht hatten, den der ehemalige Kustode Buh bei sich aufgenommen hatte, hatte der sie längst gefunden. Und was der junge Jesuit wollte, das ahnte Andrej auch. Es ging um das Geheimnis, das er sechzehn Jahre lang gewahrt hatte.
»Was ist mit meinem … was ist mit dem ehrwürdigen Vater?«, fragte Andrej.
»Er ist schon vorher abgereist. Er wird wohl in einer oder zwei Wochen hier eintreffen. Wollen Sie hier warten, bis …?«
»Wer ist alles in der Gewalt des Jesuiten?«, unterbrach Cyprian.
»Alle, die in Würzburg waren … Ihre Gattin, Frau Agnes, Ihr Sohn Andreas, Ihre Schwiegertochter und Ihre Enkelin …« Der Mönch zuckte mit den Schultern und warf einen hilflosen Blick zu Andrej. »Was sollen wir tun, Herr von Langenfels?«
»Da fehlt doch …«, begann Andrej.
»Ist das alles?«, stieß Cyprian hervor. »Rücken Sie raus damit, Bruder!«
»Äh … nein.« Der Mönch räusperte sich. »Aber das ist eine Nachricht, die nicht von Ihrem Sohn kommt, sondern aus anderer Quelle. Sie ist eine Stunde zuvor eingetroffen. Ein schwedisches Heer hat sich von Franken aus in Marsch gesetzt. Es ist in Böhmen einmarschiert.« Der Mönch bekreuzigte sich. »Der Krieg ist zurückgekehrt. Der Herr sei uns allen gnädig.«
Keine Viertelstunde später rollte die Kutsche bereits in Richtung Nordwesten über die Straße. Beide Männer saßen in ihre Mäntel und Decken gehüllt auf dem Kutschbock. Den Wagenlenker hatten sie protestierend und schmollend im Kloster zurückgelassen. Die Fahrgastkabine steckte voller Vorräte; Wenzels Mönche, so verschroben sie zuweilen wirkten, arbeiteten wie eine gut geölte Mechanik zusammen, wenn es darauf ankam. Cyprian hatte Andrej gefragt, ob er lieber hier auf seinen Sohn warten wolle, anstatt mitzukommen. Andrej hatte die Frage keiner Antwort für wert gehalten, und Cyprian hatte sie nicht mehr gestellt. Andrej sah Cyprian von der Seite an. Er konnte erkennen, wie sehr sein Freund sich zusammennehmen musste, damit er die Pferde nicht zu einem rücksichtslosen Galopp antrieb. Sie mussten sich noch eine lange Strecke auf sie verlassen können.
»Vielleicht hätten wir wenigstens abwarten sollen, bis Antwort aus dem Vatikan auf unsere Nachfrage eingetroffen wäre«, sagte Andrej. »Es würde uns helfen, mehr über diesen Jesuiten zu wissen, als wir selbst herausgefunden haben.«
»Ich weiß alles, was ich über ihn wissen muss«, erwiderte Cyprian. »Er
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