Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
Schmutzstreifen wegzuwischen, die seine Stiefel an dem sauberen Laken hinterlassen hatten. Schließlich faltete er dem Toten die Hände vor dem Leib und zog die Decke über ihn. Ihm die Augen zu schließen oder ihm den tief eingeschnittenen Strick vom Hals zu schneiden, reichten seine Nerven nicht. Er trat zurück und bekreuzigte sich.
Dann drang das Knallen der aufgestoßenen Eingangstür im Erdgeschoss wie ein Kanonenschuss durch die stille, verlassene Ordenskommende, und eine Stimme wurde hörbar: »Hallo, Ehrwürden? Hallo? Is’ jemand zu Hause, verdammich?«
31.
Melchior wusste selbst nicht, was ihn auf die Idee gebracht hatte. Als die drei Männer die Stufen hochgeklettert waren und auf dem Treppenabsatz stehen blieben, um sich zu orientieren, rief er schon: »Hierher!« Er saß auf dem Stuhl im Arbeitszimmer des Ordensmeisters, hatte wahllos Pergamenteund Blätter auf der besudelten Tischplatte ausgebreitet, sodass von der verschütteten Tinte nichts mehr zu sehen war und der Tisch aussah wie der eines Mannes, dem die Arbeit bis zum Hals steht. Den Mantel des Ordensmeisters hatte er sich über die Schultern geworfen.
Der erste der drei Männer trug nur ein Hemd, das am Kragen weit offen war und die Abdrücke von Rippen unter einer schmutzig gelben Haut offenbarte. Er schlenderte herein mit seinen über dem Oberkörper gekreuzten Ledergurten, dem Rapier, den Pistolen im Gürtel und einem verträumten Lächeln wie der Herr der Welt. Das Waffengehänge an seiner linken Hüfte war leer, als habe er sein zweites Rapier, das dort zweifellos gehangen haben musste, verloren. Sein Blick war von einer so intensiven Ausdruckslosigkeit, dass er Melchior unwillkürlich an den Blick des Selbstmörders erinnerte, der drüben in seiner Schlafkammer unter der Decke lag. Melchior unterdrückte ein Schaudern.
Der zweite Mann trug das übliche Sammelsurium an heruntergekommenen Kleidungsstücken, wie man es bei einem Soldaten oder Wegelagerer erwartete. Er zog den dritten Mann wie einen störrischen Esel am ausgestreckten Arm hinter sich her. Der dritte Mann war in eine schwarze Kutte gekleidet, hielt sich schief und hinkte, als ob er Schmerzen habe. Seine Hände waren gefesselt, und der Rest des Strickes diente dazu, ihn zu führen. Als sein Blick auf Melchior fiel, riss er Augen und Mund auf. Weil er den Abschluss machte, sahen es seine Begleiter nicht. Melchior reagierte blitzschnell. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück mit der Miene eines Mannes, der sich äußerst gestört fühlt.
»Ich bin der Komtur der Kreuzherren vom Roten Stern in Eger«, schnarrte er. »Zweifellos werden Sie mir gleich sagen, wie ich Sie anreden muss.«
Er sagte es mehr zu dem Mönch in der schwarzen Kutte als zu den anderen beiden. Unwillkürlich drehten diese sichum, doch der Mönch hatte sich bereits gefangen und sah mit einer Leidensmiene zu Boden. Der zweite Bewaffnete ruckte an dem Strick, den er in der Faust hielt, und der Mönch stöhnte und verzog das Gesicht. Mittlerweile war Melchior sein Name wieder eingefallen: Bruder Tadeáš. Der zweite Bewaffnete grinste. Dann wandte er sich an Melchior.
»Wann hat man denn so ’nen Grünschnabel zum Komtur ernannt?«, höhnte er.
»Wann hat man denn einem aufgetürmten Mäuseschiss das Reden beigebracht?«, fragte Melchior.
Das Gesicht des zweiten Mannes verzog sich. Melchior beugte sich über den Arbeitstisch, als sei die aufsteigende Wut in den Zügen eines bis an die Zähne bewaffneten Marodeurs die unwichtigste Sache der Welt. »Raus jetzt, ich habe zu tun«, sagte er.
»Johannes ist erstaunt, dass Sie … ganz allein hier sind, Ehrwürden«, sagte der erste Mann.
»Und wer ist Johannes?«, erwiderte Melchior ungnädig.
Der Mann breitete die Arme aus und drehte sich einmal um sich selbst. »Ich bin Johannes«, sagte er. »Johannes. Der Steinerne Johannes!«
»Johannes!« , rief der zweite Mann und ballte eine Faust.
»Na schön«, sagte Melchior. »Und ich bin gar nicht allein. Mein treuer Freund weicht mir nicht von der Seite.« Er legte seine Radschlosspistole auf den Tisch und spannte den Hahn. Es klickte vernehmlich.
»Hähähä!«, machte Johannes’ Begleiter. »Wir sin’ zu zweit.«
»Ihr seid zu dritt«, sagte Melchior, »aber halten wir uns nicht mit den hohen Zahlen auf. Wie viele ihr auch immer seid, du bist der Erste, der sein Hirn von der Wand hinter sich abkratzen kann, wenn du eine Dummheit begehst.«
»Hähähä!«, machte der Mann wieder, aber es hörte sich
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