Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
steif hinausstapfenden Johannes und seinem erschütterten Kumpan hinterher. Melchior zwinkerte ihm zu, doch im selben Moment wurde der Benediktiner ruckartig über die Schwelle gezogen. Melchior wusste nicht, ob er das Zwinkern noch mitbekommen hatte. Er wartete, bis er das Knallen der ins Schloss fallenden Eingangstür hörte, dann zählte er im Stillen bis zehn.
32.
Alexandra erreichte die Weggabelung bei Lipenetz und brachte das Pferd zum Stehen. Der Ort schien noch nicht mitbekommen zu haben, dass der Krieg die Gegend erneut heimsuchte. Die Straße gabelte sich vor der Holzpalisade, die das Dorf umgab; der eine Teil führte durch es hindurch, derandere hinunter zum Bett der Unteren Mies. Sie musterte die Weggabelung und das Wegkreuz, das unvermeidlich dort stand. Einem Impuls folgend, stieg sie ab, kniete vor dem Kreuz nieder und bekreuzigte sich.
»Ich weiß nicht, ob ich recht habe«, murmelte sie. »Vielleicht täusche ich mich, o Herr. Ich wünschte, ich besäße die Gewissheit, das Richtige zu tun, mit der Du in den Tod gegangen bist. Aber ich habe sie nicht.«
Sie stand auf und musterte die Stelle erneut, an der die Straße in zwei unterschiedliche Richtungen weiterlief. Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass sie doch wusste, welches der richtige Weg war.
Sie saß wieder auf und trieb das Pferd voran, in die Richtung, in der sich ihrer Überzeugung nach das Geschick ihrer gesamten Familie entscheiden würde.
33.
Als Johannes mit seinem Spießgesellen und Bruder Tadeáš zurückkam, wusste Wenzel, dass etwas schiefgegangen war. Er hatte den unstet umherhuschenden Blick, das Zucken der Gliedmaßen und die verkrampfte Haltung des Wahnsinnigen bereits einmal erlebt – als es Alexandra gelungen war, ihm zu entkommen. Während er im ehemaligen Refektorium auf und ab schritt, bebend und buchstäblich schäumend, versammelte sich eine Handvoll seiner Männer an der Tür und beobachtete ihn nervös. Wenzel umklammerte das eingewickelte Fläschchen in seinem Mantel und fragte sich, ob es ihm zu irgendetwas nützen würde, wenn der Irre die Beherrschung verlor und befahl, sie alle umzubringen. Mit einer Kopf bewegung schickte er zwei seiner Mönche vor, um Bruder Tadeáš zu helfen, der verkrümmt, mit hängendem Kopf und immer noch gefesselten Händen neben seinemGefangenenwärter stand. Johannes kam mit ein paar großen Schritten herangestürmt und stieß sie zurück.
»Der bleibt hier!«, schrie er. Er riss so stark an dem Strick, dass Bruder Tadeáš ächzend in die Knie ging. »Mit dem fang ich an!«
»Was glaubst du, was der verdammichte Komtur unternimmt, Johannes?«, fragte der Mann, der sich als Johannes’ Leutnant herausgestellt hatte.
»Ich hab ihm eine Stunde gegeben. Eine Stunde!« Der Wahnsinnige stampfte mit dem Fuß auf. »Er wird das Geld ranschaffen, denn sonst«, er warf einen flackernden Blick zu Wenzel hinüber, »geht’s dir und … deinen Freunden dreckig, Kuttenarsch! Wenn du mich auf die ganze lange Strecke hierher umsonst gelockt hast …«
Wenzel zog es vor, nichts zu sagen, und ballte die Fäuste angesichts des Zustands von Bruder Tadeáš. Er hatte sich selbst angeboten, als Johannes angekündigt hatte, einen von ihnen als Beweis für die Existenz seiner Geiseln mitzunehmen, aber der Irre war nicht darauf eingegangen. Während er Johannes’ Blick zurückgab, wurde ihm bewusst, dass dieser kurz davorstand, genauso überzuschnappen wie in Grafenwöhr. Je öfter Johannes von sich selbst in der ersten Person sprach, desto näher war er einem Tobsuchtsanfall. Man hätte schlaue Dispute darüber führen können, ob es daran lag, dass er nur im Zustand der höchsten Wut bei sich selbst war, oder ob er vielmehr in Wut geriet, wenn er zwischendurch erkannte, was für ein Zerrbild eines menschlichen Geistes er darstellte. Zu spät wurde sich Wenzel bewusst, dass sich etwas von seinen Gedanken in seinem Gesicht widergespiegelt haben musste. Johannes’ Miene verzerrte sich. Wenzel senkte die Augen, aber es war genau die falsche Reaktion. Johannes riss eine seiner Pistolen aus dem Gürtel und war mit einem Satz bei Wenzel. Er drückte ihm die Mündung in den Leib.
»Grübel, grübel, grübel!«, schrie er. »Ich sehe doch, wie’s in deinem Hirn aussieht, Kuttenträger! Grübel, grübel, grübel! Die ganze Zeit denkst du darüber nach, was du mir antun könntest. Grübel, grübel!« Sein stinkender Atem und ein klebriger Speichelregen wehten Wenzel ins Gesicht. »Du kannst mir nichts
Weitere Kostenlose Bücher