Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman

Titel: Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
Vom Netzwerk:
Kind … manchmal fühlte Wenzel eine sonderbare Verbundenheit mit ihm, die weniger mit Zuneigung als mit der Tatsache zu tun hatte, dass Andreas so aus der Art geschlagen war, als sei er ein Fremder. Und dieser Gedanke schlug notgedrungen eine Saite in Wenzel an … Wenzel von Langenfels, das ewige Findelkind …
    Die erbitterte Rivalität zwischen Andreas und Melchior erklärte sich jedoch nicht allein daraus, dass in Andreas eine Seite der Familie Khlesl wiedergeboren schien, die Gestalten hervorgebracht hatte wie Cyprians Vater, dessen Engherzigkeit den Sohn noch als Halbwüchsigen aus seinem Haus getrieben hatte, oder Cyprians älteren Bruder, der es geschafft hatte, die geerbte Bäckerei in Wien im Lauf seines Lebens zu ruinieren, nicht aus Faulheit, sondern aus dem völligen Unvermögen, auf andere Menschen einzugehen und schon gar nicht auf die Wünsche seiner Kunden. Wenzel hatte seine Vermutungen, was den Grund der Feindschaft betraf, umso mehr, da sie stets von dem ansonsten fröhlichen und gutmütigen Melchior ausging. Aber es hätte Daumenschrauben und spanischer Stiefel bedurft, um Wenzel auch nur erwägen zu lassen, sie jemals auszusprechen.
    »Und wo sind sie?«, fragte Wenzel schließlich.
    »In Würzburg.«
    Wenzel hatte das Gefühl, dass die Kälte des Fußbodens in sein Herz stieg. »Ausgerechnet …«
    Melchior nickte. »Im Herzen des Reichs, im Herzen der schlimmsten Verwüstungen des ganzen Kriegs, im Herzen eines Gerichtsverfahrens, das herausbekommen soll, ob neunhundert Menschen unschuldig auf den Scheiterhaufen gewandertsind oder ob es nicht etwa doch stimmt, dass alle Frauen, die mysteriöse Heilungen zuwege bringen, Hexen sind.«
    »Verdammt«, sagte Wenzel und vergaß, sich dafür zu bekreuzigen.
    »Du hast Einfluss – für den Fall, dass etwas schiefgehen sollte«, meinte Melchior.
    »Ich habe überhaupt keinen Einfluss.«
    Melchior deutete auf die Kutte, die Wenzel auf seiner Reise getragen hatte, die Kutte, die so schwarz war, dass der normale dunkle Benediktinerhabit geradezu bunt daneben wirkte, die Kutte, für die es ein paar Jahrhunderte lang nur jeweils sieben Vorbilder gegeben hatte. »Doch, du hast.«
    »Vade retro, satanas« , sagte Wenzel, doch es gelang ihm nicht, dabei zu lächeln.

4.
    Lieutenant Erik Wrangel sah auf, als der kaiserliche Offizier ins Zelt trat und ihm mit einer Kopf bewegung bedeutete, mit nach draußen zu kommen. Erik sah, dass der Offizier Eriks Rapier samt Gürtel und Gehänge in der Hand trug, und seine Hoffnung stieg.
    »Ist die Antwort endlich eingetroffen?«, fragte er auf Französisch. »Löst meine Familie mich aus?«
    »Wir brauchen Sie als Übersetzer«, erwiderte der Offizier ebenfalls auf Französisch. »Kommen Sie mit.«
    Der Lieutenant stand auf und zerrte sein blaues Koller glatt. Er seufzte enttäuscht. Es war schon erstaunlich, wie sich der Mensch an Dinge gewöhnte. Vor sechs Wochen war er noch Teil des schwedischen Heeres seines Onkels gewesen, des Feldmarschalls Carl Gustav Wrangel, und hatte mitsamt seinen Männern die Menschen in der Gegend um Bamberg dafür bestraft, dass der bayerische Kurfürst denein halbes Jahr zuvor ausgehandelten Waffenstillstand mit Frankreich und Schweden gebrochen und sich erneut an die Seite des Kaisers gestellt hatte. Als das Heer nach Thüringen abgezogen war und Lieutenant Wrangel mit seinem Kornett die Nachhut gesichert hatte, waren er und seine Kameraden in einen Hinterhalt der nachrückenden bayerischen Truppen geraten. Da war die Realität des Krieges dem jungen Kavallerieoffizier zum ersten Mal bewusst geworden – Musketen hatten geknallt, Pferde hatten gewiehert und waren durchgegangen, Männer hatten geschrien … nicht dass er dies nicht schon vorher erlebt hätte, aber erstmalig waren er und seine Reiter am empfangenden Ende der Gewalt gewesen. Ihr Rittmeister hatte sich am Boden gewälzt, ein grauenhafter Anblick: Eine Kugel hatte seinen Unterkiefer abgerissen. Pferde waren zusammengebrochen und hatten ihre Herren unter sich eingeklemmt, hatten ausgeschlagen und geschrien, während die Därme aus ihren von Kugeln und Piken aufgerissenen Bäuchen gequollen waren, sich um ihre zappelnden Beine gewickelt hatten und ihre wehrlosen Reiter mit Knüppeln erschlagen worden waren. Kugeln hatten Männer aus den Sätteln gerissen, und als sie blutend wieder auf die Beine zu kommen versucht hatten, waren sie von den feindlichen Soldaten zu Tode getreten worden. Er selbst, Lieutenant Erik Wrangel, nach

Weitere Kostenlose Bücher