Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
trotzdem mitteilen.«
»O Gott … dieser verfluchte, verfluchte Ort …«
»Irgendwann muss man sich den Geistern der Vergangenheit stellen. Wir brechen sofort auf.«
»Du willst mich begleiten?«
Wenzel musterte sie. »Natürlich«, stieß er hervor. Wie hatte sie nur etwas anderes glauben können?
Über ihr Gesicht huschten die Gefühle wie Licht und Schatten. Bevor er wusste, was er tat, beugte er sich zu ihr und küsste sie auf den Mund. Ihre Hände fuhren nach oben, um ihn wegzuschieben, doch in ihrer Abwehr war keine Kraft, und dann verkrallten sich ihre Hände mehr in das Vorderteil seiner Kutte, als dass sie ihn von sich stießen, und sie zog ihn zu sich heran. Er drückte sie an sich, und sie presste sich an ihn und umarmte ihn und erwiderte den Kuss mit einer so verzweifelten Wildheit, dass sie seine Lippen gegen seine Zähne quetschte und er fast an ihrer Zunge erstickte. Zu seiner monströsen Beschämung fühlte er, wie sein Glied sich schlagartig versteifte, und zu seiner Scham kam ebenso monströse Verwirrung, als sie ihren Unterleib gegen den seinen presste und er das Zucken fühlte, das durch ihren Körper ging. Gab es einen noch absurderen Zeitpunkt als diesen, von einem Kuss beinahe bis zur Unerträglichkeit erregt zu werden? Aber … gab es überhaupt einen Zeitpunkt, an dem die Liebe nicht, wenn sie wollte, über alles triumphieren konnte?
Sie lösten sich voneinander. Wenzel hörte ein vielstimmiges Räuspern und ein Füßeschlurfen, und seine Blicke irrten zu seinen Mönchen. Sie hatten sich alle umgewandt und betrachteten die Wände und die Decken des Treppenhauses, als wären die Schätze Salomos in ihnen verbaut. Sein Blickwanderte zurück zu Alexandra. Sie erwiderte ihn mit einer Intensität, die ihm in alle Glieder fuhr.
»Sag irgendwas«, krächzte sie.
»Herr, lass mich sterben, weil es nicht mehr besser werden kann als in diesem Moment«, brachte er hervor.
Ihre Augen liefen über. Als ihr Anblick verschwamm, wusste er, dass die seinen es ihr nachtaten. Er zog sie so ungestüm an sich, dass ihr der Atem ausging und seine lädierten Rippen knackten. Es hätte ewig dauern können. Es dauerte viel zu kurz.
»Wir können nicht hier rumstehen und heulen«, sagte sie und machte sich los. »Wir haben eine Aufgabe.«
Im Stall des Klosters gab es in der Regel ein paar Pferde. Wenzels eigener Gaul war darunter, aber auch Tiere, die dort untergestellt waren, weil man sich auf die Pflege der Mönche verlassen konnte – und selbst das Geld für das Heu über den Winter sparte. Den Mönchen war es recht. Was die Tiere vorne fraßen, gaben sie hinten in Form von Dünger wieder von sich. So war allen geholfen, am meisten den Pferden, und die Rosen an den vier Ecken des Kreuzgangs und die Erdbeeren des Klosters waren in der ganzen Umgebung berühmt. Wenzel warf nur einen Blick auf das Pferd, mit dem Alexandra bis hierhergeritten war, dann suchte er eines von denen aus, die im Kloster ihre Winterpension bezogen. Jetzt war nicht die Zeit für kleinliche Skrupel.
Als sie die Tiere an ihren Zügeln nach draußen zogen, hatten sich Wenzels Mönche vor dem Stall versammelt und musterten sie schweigend. Wenzel musste zweimal hinsehen, bevor er begriff, was anders an ihnen war – sie hatten den dunkelgrauen Benediktinerhabit gegen die nachtschwarzen Kutten ausgetauscht. Was den Bruder Kellermeister betraf, so spannte die seine am Bauch ein wenig; der Stoff musste wohl eingegangen sein.
»Wir kommen natürlich mit«, sagte der Kellermeister, der bemerkt hatte, dass Wenzels Blick an ihm hängen geblieben war.
»Und wohin, wenn ich fragen darf?«
»Keine Ahnung, ehrwürdiger Vater. Sag du es uns.«
Wenzel fühlte die irrwitzige Regung in sich aufsteigen, ihm die Anrede »ehrwürdiger Vater« zu verbieten und laut zu rufen, dass, wenn der Kuss in der Bibliothek wirklich etwas bedeutet hatte, bald ein neuer Propst seine Aufgabe würde übernehmen müssen, weil er in die Welt zurückkehren würde … doch er beherrschte sich. Eine Aufgabe war erst dann beendet, wenn es dafür nichts mehr zu tun gab, und davon war er noch meilenweit entfernt – meilenweit und einen Blick in die Hölle, die sie alle verschlingen konnte. Seine gute Laune erstarb, aber nicht das Gefühl, hundert Dinge gleichzeitig tun zu wollen. Er spürte noch immer Alexandras Kuss und ihren Körper in seinen Armen, und die Erinnerung durchpulste ihn mit Leben.
»Na gut«, erklärte Wenzel. »Ich sage es euch. Ihr geht brav wieder
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