Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
dritten Mal suchte ich mit Cyprian ein Versteck für die Teufelsbibel.
Heute war es zum ersten Mal seit sechsundsiebzig Jahren wieder so, dass die Teufelsbibel sein Kommen dort erwartete.
Sechsundsiebzig Jahre! Drei Viertel eines vollen Jahrhunderts! Andrej hatte das Gefühl, lange, lange über die ihm zugemessene Zeitspanne hinaus gelebt zu haben. War nun der Tag gekommen, an welchem demjenigen, der in dieser Hinsicht etwas zu sagen hatte, dies auch auffiel? Stupste die Schere schon an seinen Lebensfaden, um ihn durchzuschneiden?
Er warf einen unsicheren Blick zu Cyprian hinüber. SeinFreund zwinkerte ihm zu und grinste. Noch nie hatte Andrej sich so sehr gewünscht, dessen unerschütterlichen Glauben daran zu besitzen, dass irgendwie alles gut wurde.
Es traf ihn wie ein neuerlicher Stich, als er erkannte, dass – ganz leise – der Gedanke in ihm anklopfte, er werde vielleicht bald Yolanta wiedersehen … Yolanta, die einzige Liebe seines Lebens. Sie war seit sechsundfünfzig Jahren tot. Das Merkwürdige daran war, dass er weder fürchtete, bei ihrem Sturm durch das Lager der Dragoner vom Pferd zu fallen noch erschossen zu werden. Auf eine unheimliche Weise war er sich sicher, dass das Rendezvous mit dem Tod in Podlaschitz stattfinden würde.
»Alles fertig? Los geht’s«, flüsterte Samuel Brahe.
Sie marschierten zu Fuß los, die Pferde zogen sie hinterdrein. Jeder hatte Decken oder Kleidungsstücke zerrissen, um die Hufe der Pferde zu umwickeln. Es kam darauf an, so nahe wie möglich an die Dragoner heranzuschleichen, lautlos aufzusitzen, und dann – rein, drauf, durch!
Andrej schüttelte den Kopf. Seit es ihnen gelungen war, die Schweden zu überreden, sich mit ihnen zu verbünden, hatte er den Anführer der kleinen Schar schätzen gelernt. Was er jetzt vorhatte, war jedoch ein Husarenstück; und Andrej hatte den Verdacht, dass ein Streich wie dieser zum ersten Mal in der Geschichte der menschlichen Kriegsführung unter Beteiligung von zwei gesetzten Herrschaften stattfand, von denen einer sein achtzigstes Lebensjahr überschritten hatte und der andere kurz davorstand.
Die Schweden gaben ihm Rätsel auf. Sie wirkten nicht wie Mitglieder eines regulären Truppenteils, sondern hatten eine so vertraute Art, miteinander umzugehen, dass sie wie Freunde, mehr noch, wie eine Familie wirkten. Andrej hatte mitbekommen, dass sie Småländer waren. Warum hatte man ausgerechnet Samuel Brahe und seine Männer ausgesucht, um diese Mission zu erfüllen? Sie wären auf jedem Schlachtfeldund für jeden Feldherrn die Elitetruppe gewesen, die man zurückhielt, um sie im entscheidenden Moment einzusetzen, wenn es galt, den Sieg zu erringen. Samuel und seine Getreuen würden ihn erzwingen, egal, wie die Lage stand. Weshalb verschwendete man sie dann hier mit diesem Geheimauftrag?
Weil sie keine andere Wahl gehabt hatten? Oder weil niemand sonst bereit gewesen war, Befehle von einer Frau entgegenzunehmen, die von über der Hälfte der Männer die Tochter hätte sein können und die sich wie ein Mann kleidete? Anfangs hatte Andrej angenommen, Ebba sei die Geliebte Samuels, dann war ihm klar geworden, dass sie mit keinem der Männer das Lager teilte. Die Småländer behandelten sie wie ihresgleichen. Zusammen stellten sie die unwahrscheinlichste Truppe dar, die man sich nur vorstellen konnte. Dann dachte Andrej daran, wie seine eigene Familie auf einen Außenstehenden wirken musste, und er gab zu, dass sie selbst, was unwahrscheinliche Truppen anging, durchaus mithalten konnten.
»Was gibt’s zu lächeln?«, fragte Ebba. Andrej blickte auf. Wie immer hatte sich die alte, unabgesprochene Routine eingestellt, und er und Cyprian waren bis zur Spitze der Truppe aufgerückt, um direkt hinter Samuel und Ebba Sparre zu marschieren. Es bestand keine Frage, dass, sollten Samuel und Ebba beim Sturm durch das Dragonerlager ausfallen, Andrej und Cyprian versuchen würden, den Rest der Truppe herauszuführen.
»Ich wollte, wir hätten uns ein paar Jahrzehnte eher kennengelernt«, sagte Andrej. Es war das Erste, das ihm in den Sinn gekommen war.
»Machst du mir schöne Augen, Andrej von Langenfels?«
Andrej lächelte erneut. »Hätte ich denn eine Chance?«
»Ich bin vergeben«, sagte sie. »Und wenn ich in deine Augen sehe, weiß ich, dass auch du vergeben bist.«
»Seit beinahe sechzig Jahren«, sagte Andrej.
»Wie heißt sie?«
»Yolanta. Sie starb 1592, weil ihr Mörder sie mit Cyprians Frau verwechselte.«
Ebba musterte
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