Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
zurückholen können. Seine Stimme klang rau, als er weitersprach: »Du weißt vorher nicht, wie es ausgehen wird. Du weißt nur, dass du den Kampf immer wieder von Neuem führen musst.«
Sie schüttelte schluchzend den Kopf. Ihr ganzer Körper zuckte. Er packte sie an den Schultern und hielt sie auf Armeslänge von sich. Ihr Gesicht war unsichtbar hinter dem Vorhang ihres Haars. Er schüttelte sie. Hinter Alexandra sah er Ebba stehen, die ihn mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck betrachtete, als hätte sie ihn nie zuvor gesehen.
»Kämpfe, Alexandra!«, schrie er. Die Frau in seinen Händen zuckte zusammen. »Kämpfe! Deine Mutter hat es verdient!«
Alexandra stierte ihn an. Dann blickte sie wild um sich. Cyprian, so bleich wie der Tod, nickte ihr zu. Andrej, der herangekrochen war und an Agnes’ anderer Seite kauerte, nickte ebenfalls. Alexandra erschauerte.
»Nur du kannst es«, sagte Cyprian kaum hörbar. »Du weißt, wie sehr ich deine Mutter liebe. Ich lege ihr Leben in deine Hände.«
»O Gott, Papa …«, stöhnte Alexandra.
Cyprian lächelte unter Tränen. »Ich wüsste keine besseren.«
»Alexandra«, hauchte Agnes. »Fang endlich an. Wofür hat man eine Ärztin im Haus, wenn man sich um alles selber kümmern muss?«
Alexandra begann erneut zu weinen, doch dann ballte sie die Fäuste und tat einen tiefen, tiefen Atemzug. Sie streckte die Hand aus, und Cyprian hob die seine von Agnes’ Wunde. Agnes’ Kleid war nass und dunkel von Blut. Alexandra packte eine Naht mit beiden Händen und riss sie auf. Samuel sah Agnes’ Seite und das Loch darin, aus dem in schwachen Stößen Blut quoll. Alexandra schob die Hand unter den Leib ihrer Mutter, und Agnes begann zu ächzen und biss sich auf die Lippen. Die Hand kam triefend vor Blut wieder zum Vorschein.
»Die Kugel ist hindurchgegangen«, sagte Alexandra. Ihre Stimme schwankte. Sie räusperte sich, und einen schwindelerregenden Moment sah es aus, als würde sie die Nerven erneut verlieren. Doch dann straffte sie sich. »In der Kirche stehen zwei Pferde«, sagte sie fest. »Das mit dem silberbeschlagenen Zaumzeug ist meines. Ich brauche die Tasche, die am Sattel festgeschnallt ist. Schnell!«
Samuel stand auf, packte Magnus Karlsson am Kragen und wiederholte Alexandras Worte auf Schwedisch. Magnus spurtete los. Samuels Blicke begegneten wieder denen Ebbas. Ihre Wangenmuskeln spielten.
Agnes’ Augenlider flatterten. Alexandra tätschelte grob ihre Wange. Agnes riss die Augen auf.
»Als wir zu dieser Reise aufgebrochen sind«, sagte Alexandra, »hast du mir versprochen, dass du mir assistieren würdest, wenn die Lage ernst würde. Jetzt kannst du dein Versprechen einlösen, Mama! Reiß dich zusammen. Du darfst nicht ohnmächtig werden.«
»Mein Versprechen … galt … für Lýdie«, lallte Agnes.
»Papperlapapp. Ein Versprechen, das man als Heiler gibt, gilt für alle. Reiß dich zusammen! «
»Deine … Tochter … wird … aufmüpfig …«, ächzte Agnes.
»Das hat sie von dir«, sagte Cyprian.
Magnus Karlsson schlitterte mit der Tasche heran. Alexandra riss sie ihm aus der Hand und öffnete sie. Magnus wollte einen Schritt zurücktreten, doch sie packte sein Handgelenk, deutete auf einen zusammengeknüllten Ballen aus Leinentüchern und machte mit beiden Händen eine Pantomime, als zerreiße sie etwas. Magnus zog eines der Tücher heraus und teilte es mit seinen Pranken in zwei ungleiche Hälften, als wäre es nasses Papier. Alexandra nickte ihm aufmunternd zu. Magnus fuhr fort, die Tücher in schmäler werdende Streifen zu zerreißen.
Samuel trat einen Schritt zurück und wandte sich um. Ebba stand neben ihm. Er nahm sie am Arm und führte sie von der Szene weg. Ebba schüttelte sich, als erwache sie aus einem Traum.
»Im einen Moment Triumph, im nächsten Asche«, sagte sie erschüttert.
Samuel stapfte ihr wortlos voran, bis er zu der Stelle kam, an der sie in die Ruinenlandschaft eingedrungen waren. Jetzt konnte er sehen, dass dort einmal ein Teil der Klostermauer gestanden haben musste. Sie war umgesunken, als wäre sie es leid gewesen, eine Ruinenlandschaft zu begrenzen. Samuel stieg hinauf und spähte in das Feld hinaus. Es kam ihm selbst unglaublich vor, dass die Sonne noch immer tief stand. Über dem zerwühlten Schnee vor dem ehemaligen Kloster lag ein rötlicher Schimmer wie von versickertem Blut. Zwei, drei ungesattelte Pferde stapften ziellos in der Weite herum.
»Die anderen Gäule sind in alle Winde zerstreut«, sagte
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