Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
untergebracht hatte und bewachen ließ, zu den Positionen an der ehemaligen Mauer und zurück in den halbwegs intakten Teil des Klosterbaus, in dem Agnes lag. Sie ahnte nicht, dass weder die Småländer noch die Khlesls erkannten, dass blanke Furcht sie umtrieb; alle unterstellten ihr, sie kümmere sich ebenso emsig um das Wohlergehen der Männer und um die Funktionstüchtigkeit ihrer Verteidigung wie ein Feldherr.
Irgendwann setzte Samuel sich zu Alexandra und sah ihr zu, wie sie in mühsam erwärmtem Wasser die blutigen Tücher auswusch.
»Ich habe gehört, du bist nicht allein hierhergekommen«, sagte er nach einer Weile.
Alexandra nickte und biss sich auf die Lippen. »Ich weiß nicht, wohin Wenzel verschwunden ist. Zuerst dachte ich, die Soldaten von Pater Silvicola hätten ihn gekriegt, doch er scheint entkommen zu sein.«
»Glaubst du, er ist abgehauen?«
Alexandra warf ihm einen scharfen Seitenblick zu. Samuel hob die Hände. »Es war nur eine Frage!«
»Eine überflüssige!«
»Na gut.«
Eine Weile sah er ihr wieder zu, wie sie die Tuchstreifen wusch. Als sie nicht mehr wusste, wohin mit den nassen Lappen, zog er sein Rapier aus der Scheide, legte es sich quer über die Knie und hängte die Streifen daran. Sie beobachtete ihn dabei und lächelte plötzlich. Er lächelte zurück.
»So trocknen die Småländer ihre Socken«, sagte er.
»Ich wusste gar nicht, dass die Småländer schon so etwas wie Socken kennen.«
»Wir haben sie eingeführt, als wir das Menschenfressen aufgegeben haben. Das war … warte mal … welchen Monat haben wir jetzt?«
»Ich wusste auch nicht, dass ihr das Menschenfressen schon hinter euch habt.«
»Du willst immer das letzte Wort haben, stimmt’s?«
»Nein«, sagte Alexandra und wirkte betroffen.
»Jener Wenzel, der dich herbegleitet hat – ist das der Wenzel, dessen Namen du … als wir …?«
Sie räusperte sich. »Es ist ganz schlechter Stil, eine Frau so etwas zu fragen.«
»In einer Nacht wie dieser gibt es keinen schlechten Stil.«
»In der Nacht, bevor wir alle sterben, meinst du?«
»In der Nacht, in der wir alle Brüder und Schwestern sind, weil wir morgen zusammenstehen müssen.«
»Geheimnis gegen Geheimnis?«, fragte sie nach einer längeren Pause.
Samuel nickte.
»Es ist jener Wenzel, den ich liebe, seit ich ein Kind war, aber es immer geleugnet habe. Es ist jener Wenzel, der mir die Treue gehalten hat, obwohl ich ihn zurückgestoßen und gedemütigt und ihm einen Mann vorgezogen habe, der michauf die grässlichste Weise ermorden wollte, um seinen Wahn zu befriedigen. Jener Wenzel, der mich persönlich aus den Händen dieses Mannes gerettet hat und dabei beinahe gestorben wäre. Jener Wenzel, der erst dann erfuhr, dass er ein Findelkind war und dass sein Vater ihn über zwanzig Jahre lang über seine Herkunft angelogen hatte, als die Familie ihn brauchte und meine Mutter Onkel Andrej zwang, ihm die Wahrheit zu sagen. Jener Wenzel, mit dem ich eine einzige lange, leidenschaftliche Nacht verbracht habe, den ich danach erneut zurückwies und dem ich nie gestand, dass das Kind, das unter dem Namen meines Ehemannes aufwuchs, in Wahrheit seines war – das Kind, das ich beerdigt habe und an dessen Grab ich Wenzel eines Tages weinend überraschte, weil mein Kummer ihn überwältigte –; Wenzel, dem ich selbst da nicht mitteilen konnte, dass er um sein eigen Fleisch und Blut weinte. Jener Wenzel, der einen heiligen Schwur getan hatte, der sein Leben bestimmen sollte, und diesen ohne Bedenken brach, als er keine andere Möglichkeit sah, um mir zu helfen. Jener Wenzel … jener Wenzel ist das … an dem ich mich mehr versündigt habe als an jedem anderen Menschen und der sich trotzdem nur eines vom Schicksal erhofft: dass unsere Liebe sich diesmal erfüllen kann.«
Samuel hob die Hand und nahm mit dem Finger eine der Tränen auf, die aus ihren Augen gelaufen waren. Er betrachtete sie im düsteren Schein des kleinen Feuers, dann wischte er sie zärtlich mit der anderen Hand ab, als wünsche er sich, Alexandras Leid und ihre Trauer mit der gleichen sanften Handbewegung wegwischen zu können.
»Hört sich an wie ein Glückspilz, jener Wenzel«, sagte er schließlich.
»Welches Geheimnis verrätst du mir, Samuel Brahe?«, fragte sie.
»Such dir eines aus.«
»Was hast du getan, dass du und deine Männer zu Verfemten geworden sind?«
An seinem Schweigen erkannte sie, dass er gehofft hatte, genau danach nicht gefragt zu werden.
Sie hatten Pater
Weitere Kostenlose Bücher