Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
sicherste Weg über Prag, Eger und Bayreuth. Es war nicht unbedingt der schnellste – ein Umweg von fünf oder sechs Tagen. Die kürzeste Strecke ging geradewegs nach Pilsen, aber das bedeutete einen anstrengendenMarsch durch böhmisch-mährisches Grenzgebiet. Schon auf dem ersten Teil der Reise, bevor die Straße nach Pilsen bei Deutschbrod von der nach Prag abbog, gestaltete sich das Vorwärtskommen problematisch. Die Gegend war abweisend, voller tief eingeschnittener Flusstäler, schroffer Hügel und Wälder, die sich an den roten Boden krallten. Die Spuren des schwedischen Heers, das Brünn vier Jahre zuvor belagert hatte, waren unübersehbar; und dabei waren in diesem kargen Landstrich noch nicht einmal die Verwüstungen der Hussitenkriege vollends verheilt.
»Bin ich froh, dass wir nicht die sichere Strecke nehmen«, hatte Melchior am ersten Abend der Reise gesagt und dabei Rapier und Dolch nachgeschliffen und deren Klingen eingefettet, damit sie nicht in den Scheiden festfroren.
»Das Elfte Gebot beschützt uns«, hatte Wenzel erwidert. Die anderen sechs Mönche, die Wenzel mitgenommen hatte, hatten unsicher gegrinst.
»Das beruhigt mich«, hatte Melchior gesagt und nicht nachgefragt, sondern nur den Dolch ein zweites Mal geschliffen.
Westlich von Deutschbrod war das Gefühl, irgendwo falsch abgebogen und versehentlich in den Ersten Kreis der Hölle geraten zu sein, noch drängender geworden. Auf den Kuppen der sanften Hügel reichte der Blick meilenweit, und wer hier früher schon einmal gereist war, konnte sich an Dörfer und Städtchen erinnern, die beinahe in Rufweite voneinander entfernt lagen und die Landschaft sprenkelten, bis das glänzende Band der Moldau die Felder von Nord nach Süd durchschnitt. Doch die Dörfer waren leer, die Städtchen niedergebrannt, der Schnee auf den Äckern unberührt … ein Hunderte von Quadratmeilen großes Gebiet, das einmal nach Kaminfeuern und frisch geschlagenem Holz geduftet hatte und über dem jetzt der Geruch von Kälte und Verlassenheit hing, während der Schnee es zudeckte wie ein Leichentuch. Wer hier wanderte,erfuhr nicht Gastfreundschaft, sondern die Not der wenigen Überlebenden, und diese war so groß, dass sie das älteste Gesetz menschlichen Zusammenlebens ebenso vergessen hatten wie alle anderen Regeln. Mitleid war hier fehl am Platz; wenn man überfallen wurde, reichte es nicht, die Angreifer in die Flucht zu schlagen, denn sie würden es einen Tag später erneut versuchen, ganz einfach weil der Hungertod sonst auf sie wartete und sie nichts zu verlieren hatten als ein Leben, das dem wandelnder Leichen eher glich als allem anderem. Andersherum war es ebenso: Wer glaubte, von denen Mitleid erwarten zu können, die in einem leeren Dorf oder einer Engstelle oder einem dichten Wald plötzlich aus dem Boden zu wachsen schienen und die Straße hinten und vorne abriegelten, war ein Narr und würde nicht lange genug leben, um seine Narrheit zur Gänze auszukosten.
»Steck die Waffe weg«, sagte Wenzel zu Melchior, nachdem all dies innerhalb weniger Augenblicke durch sein Gehirn geschossen war.
»Ja«, höhnte der Anführer der abgerissenen Truppe, die Wenzel und Melchior und die sechs Mönche in ihrer Begleitung umstellt hatten. »Nimm die Waffe weg, Euer Gnaden, bevor du dir noch damit wehtust. Hahaha!« Er versetzte Melchior einen Stoß vor die Brust. »Ist das nicht lustig? Hahaha!«
»Tief drinnen lache ich wie verrückt«, sagte Melchior und ließ das Rapier in die Scheide zurückgleiten. Seine Augen funkelten vor unterdrückter Wut. Die meisten der Armbrüste und die eine Schusswaffe, die die Wegelagerer besaßen, waren auf ihn gerichtet. Verglichen mit vielen anderen Straßenräubern waren sie hervorragend ausgerüstet. Eine Abteilung Soldaten musste auf der Suche nach Beutegut hier durchgekommen und die Kampfkraft von verrohten, ausgehungerten, vollkommen verzweifelten Männern unterschätzt haben.
»Ich bin sicher, die Herren Mönche werden uns vergeben, weil Vergebung ja eines von Gottes Zehn Geboten ist, oder nicht?« Der Wegelagerer machte eine Kopf bewegung zu seinen Kumpanen hin. »Filzt die Burschen. Die Kuttenträger haben bestimmt was Wertvolles dabei. Seine Gnaden soll derweil anfangen, sich auszuziehen. Ich habe das Gefühl, seine Klamotten könnten mir passen.« Der Mann musterte Melchior, der ihn mindestens um einen Kopf überragte und in den Schultern doppelt so breit war. Dabei verzog er das Gesicht zu einem Grinsen, aus dem
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