Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
selbst eine Maske aufsetzen konnte. Es gab genügend Leute, die Kristina reizlos fanden mit ihrem leisen Lächeln und den fast immer halb geschlossenen dunklen Augen, mit denen sie ihr Gegenüber von unten herauf unter dem Vorhang ihrer üppigen Lockenpracht heraus ansah. Sie hatten die Königin nicht gesehen, wenn sie vor ihren Vertrauten einmal die Maske ablegte und ihrerseits einmal in ihr Herz blicken ließ, das einer leidenschaftlichen Frau, die entschlossen war, die vielen Verletzungen, die ihrer Seele als Kind beigebracht worden waren, in einen Vorteil zu verwandeln.
Die Matrosen, die Ebba hinterhereilten, seufzten erleichtert, als sie vor einer Doppeltür stehenblieb und sie ihre Lasten absetzen konnten. Die beiden Männer mit den Hellebarden nickten grüßend und nickten dann noch einmal, als sie die Augenbrauen hochzog und auf die Türen deutete. Dahinter war der große Saal, und die Königin hielt sich dort auf und war bereit, die Aufwartung der Rückkehrerin zu empfangen. Ebba winkte einem Pagen, der eine Treppe herunterkam und bei ihrem Anblick auf dem Absatz kehrtmachen wollte.
»Begleite die beiden Männer hier zu meinen Gemächern und sieh zu, dass sie die Truhen ordentlich abstellen. Dann geh mit ihnen zum Schiff und hol meine Zofe ab; sie soll meine Gewänder auspacken und dafür sorgen, dass die Matrosen eine anständige Belohnung erhalten.«
Der Page nickte gottergeben; die Matrosen strahlten und sagten mit zahnlückigem Grinsen: »Tausend Dank, Comtesse, Euer erlauchte Hoheit, Prinzessin …!«
Ebba achtete nicht auf sie. Sie musterte kurz ihr Gewand, das sie die ganze Reise über unberührt in ihrer Truhe verwahrthatte, um es für diesen Moment der Rückkehr aufzuheben, seufzte über die unvermeidlichen Quetschfalten und drehte sich einmal um sich selbst. Einer der Wächter löste eine Hand von der Hellebarde und deutete damit auf seine Nierengegend, und Ebba fuhr mit den Händen in ihren Rücken und zerrte an ihrem Jackensaum, bis dieser sich aus den Falten des Reiserocks befreit hatte. Der Wächter zwinkerte ihr zu. Sie zwinkerte zurück. Dann stieß sie die Türen auf, trat mit schnellen Schritten bis in die Mitte des Saals, hörte, wie das Stimmengemurmel erstarb, schluckte plötzlich trocken und wusste, dass ihr Gesicht so rot war wie ein Sommerapfel. Sie wandte sich der kleinen Gruppe teuer gekleideter Frauen zu, in deren Mitte Königin Kristina stand, und sank in einem tiefen Knicks zusammen. Ihr Herz hämmerte wie verrückt. Nur noch ein paar zeremonielle Einzelheiten, dann würde sie diese Halle wieder verlassen und danach endlich die Küsse schmecken dürfen, die sie sich bereits eingebildet hatte, als das Schiff noch mitten im Anlegemanöver steckte, und die Berührungen spüren, die sie so vermisst hatte und für die ihre eigene Hand im Dunkel der Nacht nur ein ungenügender Ersatz gewesen war. Sie schaute auf in das Gesicht der Königin und versuchte sich auf ihren Bericht zu konzentrieren.
»Das Befremdliche an den Friedensverhandlungen ist«, sagte Ebba, nachdem die zeremoniellen Einzelheiten tatsächlich vorüber waren und die Königin sich mit einem kleinen Kreis aus Beratern in ihr Arbeitszimmer neben dem großen Saal zurückgezogen hatte, »dass sie so nahe wie noch nie zuvor vor dem Abschluss stehen und dass dennoch der kleinste Anlass sie zum Scheitern bringen und den Krieg bis ans Ende aller Tage fortsetzen kann.«
Der kleine Kreis bestand aus einem halben Dutzend Menschen, bis auf Ebba und die Königin alles Männer. Diezweiundzwanzigjährige Königin hatte aus ihrer Abneigung gegen das »weibische Gehühnere und ihre närrischen Ansichten« bezüglich solcher Dinge wie politischer Entscheidungen oder der Fortführung des Krieges noch nie ein Hehl gemacht; wenn es darum ging, Entscheidungen zu fällen, die das Königreich betrafen, gab es wenige Frauen, die sie um Rat fragte. Ebba erkannte, dass Axel Oxenstierna nicht mehr zum engen Kreis gehörte. Der alte Kanzler hatte Kristina von Kindesbeinen an in Politik und Staatsrecht unterrichtet, bis er plötzlich bemerkt hatte, dass er statt einer klugen Marionette eine selbstständig denkende, hochgebildete Königin erschaffen hatte; seine Versuche, ihr daraufhin die Zügel anzulegen, hatten zu einer Entfremdung geführt, die den Kanzler aus dem intimsten Kreis der Königin ausgeschlossen hatte. Magnus de la Gardie, einst der Favorit der Königin, bis er, ohne sie zu informieren oder gar um ihre Erlaubnis zu bitten,
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