Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
dass das Verderben nicht zuletzt von Menschen aus ihrer Heimat in das Land getragen worden war, aus dem sie gerade kam; dennoch ließ sich die Verachtung, die sie unwillkürlich befiel, wenn sie die grauen Leute dort zwischenden grauen Häuserruinen unter ihrem grauen Winterhimmel durch die Gassen schlurfen sah, kaum verdrängen. Sie beherrschte die deutsche Sprache gut genug, um zu wissen, dass »Reich« von »Reichtum« kam. Angesichts dieses Hohns konnte man nur Verachtung empfinden; es konnte auf der ganzen Erdkugel nichts Elenderes geben als das Heilige Römische Reich. Sie schloss die Augen und spürte der Sonnenwärme nach, die von den backsteinernen Wällen des Schlosses ausstrahlte. Ein wohlbekanntes Kribbeln in ihrem Bauch stellte sich ein. Ebba war nicht in Stockholm geboren, und eigentlich war Schloss Tre Kronor mit seiner mächtigen Wallanlage, den Tortürmen und dem dahinter aufragenden Gebirge aus sandfarbenen Mauern, graublauen Dächern, gekrönt von dem runden, hoch aufragenden Burgturm nicht ihr Heim. Aber die Heimat war da, wo das Herz war, und Ebbas Herz gehörte hierher, weil es ausschließlich für einen ganz bestimmten Menschen schlug, der sich hinter diesen Mauern, unter diesen Dächern befand. Sie öffnete die Augen und drehte sich einmal um sich selbst. Da war die Brücke nach Norrmalm hinüber, wo sich neu erbaute Stadthäuser zwischen schilfgedeckten Bauernhütten und kleiner werdenden Feldern erhoben. Da waren die Backsteinfassade und der Turm der Sankt-Nikolai-Kirche. Da war der weite Platz, der zu den Kaianlagen an der Ostseite der Altstadtinsel führte, und dahinter der Wald aus Schiffsmasten. Das Schiff, mit dem sie gekommen war, lag irgendwo dort, der Standort schon vergessen. Sie hatte einen Umweg gemacht, war bewusst von der Schiffsanlege nach Süden gelaufen, den Kai entlang, in die Östliche Lange Straße eingebogen und an der Gertrudskirche vorbei wieder nach Norden zum Schloss gelaufen, obwohl sie allein war und nicht einmal hatte warten wollen, bis einer der Matrosen des Schiffes freigeworden wäre, sie zu begleiten. Kaum jemand hatte sich nach ihr umgedreht, und wenn, wäre ihr der kleine Skandal, als Frau von Standohne Begleitung durch die Stadt zu gehen, auch egal gewesen. Das Herz hatte ihr bis zum Hals geschlagen, und sie hatte es kaum erwarten können, endlich ins Schloss zu gelangen und in die geliebten Arme zu sinken; aber sie hatte sich dennoch Zeit genommen, die Stadt zu begrüßen. Das Vergnügen der Rückkehr wäre sonst nicht vollkommen gewesen.
Sie straffte sich und gab den beiden Matrosen ein Zeichen, die ihr Gepäck inzwischen vor das Schloss geschafft hatten. Die Männer schleppten es ihr hinterher, gaffend wie jeder, der zum ersten Mal in die gewaltige Anlage des Schlosses eindrang. Die Wachen grüßten Ebba mit einem Kopfnicken. Sie marschierte mit klackenden Stiefeln über den Innenhof, grüßte nach hierhin und dorthin, wo Männer sich an den Hut tippten und Frauen knicksten, und knickste einmal selbst, als die vierschrötige Gestalt von Reichskanzler Oxenstierna an ihr vorbeieilte, wie üblich den Kopf zwischen die Schultern gezogen und die Augenbrauen bis zum Rand seiner runden Kappe gewölbt. Die Treppe hinauf zum Eingangsportal unter den Lauben nahm sie fast im Laufschritt. Ohne innezuhalten, betrat sie das Gebäude, musterte sich im Vorbeigehen in den Spiegeln an den Wänden, schob eine Stirnlocke unter ihren Hut zurück und fuhr sich mit den Fingern durch das üppige lockige Haar, das rotblond darunter hervorquoll, biss sich auf die Lippen, um sie röter werden zu lassen, und seufzte insgeheim darüber, dass stattdessen ihre Wangen so rot waren wie die eines Bauernmädchens. Wie jede Hofdame hatte sie sich früh angewöhnt, ihre Gefühle nicht auf ihren Zügen aufscheinen zu lassen, und sie hatte sich den halb schläfrigen, halb gelangweilten Gesichtsausdruck angeeignet, der alles kaschierte, was an Selbstbestimmung, Trotz oder Kühnheit erinnert hätte. Aber ihre glühenden Wangen und ihre Augen verrieten ihre wahren Gefühle jedes Mal zuverlässig. Es war das Erste gewesen, was Königin Kristina zu ihr gesagt hatte, als sie vor vier Jahren am Hof vorgestellt worden war: »Mansieht Ihr bis ins Herz hinein, Mademoiselle!« Es hatte eine Weile gedauert, bis Ebba die tödliche Verlegenheit überwunden und festgestellt hatte, dass es keine Zurechtweisung gewesen war. Dennoch wünschte sie sich manchmal, die Perfektion zu besitzen, mit der die Königin
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