Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
folgen.«
Sie schritt zu einer Ecke des Raumes, nahm einen langen Haken und, bevor die Herren ihr noch beispringen konnten, hängte ihn ohne Mühe in einen Ring ein, der an der holzvertäfelten Decke hing. Der Raum war so hoch, dass die Stange des Werkzeugs die Länge einer Pike hatte; Ebba hatte Soldaten gesehen, die Mühe hatten, mit den zwei Mannslängen messenden Waffen zu hantieren. Obwohl sie wusste, wie besessen die Königin davon war, ihre schiefe Haltung und ihre ungleichen Schultern mit Leibesübungen auszugleichen, war sie jedes Mal wieder darüber erstaunt, welche Kraft in dem etwas zu kurz gewachsenen, fraulich-üppigen Leib steckte. Eine Klappe öffnete sich, und Kristina zog mithilfe des Hakens eine Art Leiter herab, die nicht mehr war als ein Balken, an dem links und rechts kurze Sprossen angebracht waren. Sie stellte einen Fuß auf die erste Sprosse.
Die Männer sahen sich an. Die Jesuiten schüttelten bereits die Köpfe. Der Botschafter und Jacob de la Gardie trugen modische halblange Pluderhosen mit Spitzenbesatz, darunter enge Beinlinge und hochhackige Schuhe mit Schleifen daran. Ihre Jacken waren reich bestickt und saßen stramm; sie waren zum Ansehen und Beneidetwerden gedacht und nicht dafür, mit ihnen eine Sprossenleiter hinaufzuklettern.Johann Matthiae war ein alter Mann, würdevoll mit altmodischem Mühlradkragen gekleidet und von der Gestalt eines hungrigen Storchs. Er seufzte. Königin Kristina hingegen trug ein schlichtes schwarzes Kleid mit einem kurzen Umhang, den sie über dem hochgeschlossenen Dekolleté kunstlos zusammengeknotet hatte, und halbhohe Stiefel. Sie hätte mit ihrer Kleidung jederzeit ausreiten, auf die Jagd gehen, an einem Schießwettbewerb teilnehmen oder einen Baum hochklettern können.
»Wenn ich darf, Hoheit?«, fragte Ebba und stellte sich neben die Königin.
»Na gut«, seufzte Kristina. »Wir nehmen es Ihnen nicht krumm, meine Herren. Sie werden die Neuerwerbungen sehen, wenn sie hier unten ausgestellt werden.«
Die Herren zogen sich unter allerlei Verbeugungen zurück. Ebba knickste zum Abschied. Dann begegnete sie dem amüsierten Blick der Königin.
»Männer«, sagte Kristina.
»Immer dasselbe«, seufzte Ebba.
Kristina machte eine einladende Handbewegung. »Geh Sie voran, Gräfin Horn.«
Ebba kletterte die Leiter hinauf, flink wie ein Eichhörnchen. Die Königin folgte ihr mit derselben Behändigkeit. Ebba sah sich um. Der Raum enthielt ein paar offene Kisten und roch nach Staub und Holz. Er war ein Teil des Dachbodens; das Gebälk durchzog ihn hoch oben in der Finsternis, und obwohl es Winter war, war er von der Sonne warm. Durch Ritzen im Dach fielen einzelne Lichtstrahlen und schufen Säulen aus tanzenden Partikeln; es sah aus, als glühten Tausende von Sternschnuppen auf und vergingen. Kristina schwang sich durch die Luke im Boden und putzte sich die Hände an ihrem Rock ab.
»Neuerwerbungen, Hoheit?«, fragte Ebba.
»Mir kommt es immer wieder wie eine Neuheit vor«, sagtedie Königin. »Oder besser: immer noch … nach all den Jahren.« Ihre Stimme klang jetzt warm und belegt. »Ich bin froh, dass du danach gefragt hast. Ich habe die ganze Zeit nach einer geschickten Überleitung gesucht.«
»Ich wusste, dass die Leiter sie abschrecken würde«, sagte Ebba. Sie trat einen Schritt auf Kristina zu.
»Ma chère Belle« , flüsterte die Königin heiser. »Ma trés chère Belle, qui je t’aime plus de ma vie …«
»Meine Königin«, wisperte Ebba, dann schmiegte sie sich in die Umarmung Kristinas und genoss den Kuss, nach dem sie sich so lange verzehrt hatte, und die Nähe des einen Menschen, dem ihr Herz bedingungslos gehörte und der ihre größte Liebe war.
10.
Alexandra hatte damit gerechnet, dass die Soldaten bei Einbruch der Dunkelheit haltmachen würden. Der sächsische Reiteroberst aber dachte nicht daran. Sie hätte gern versucht, mit Samuel Brahe zu sprechen, aber die Retter von Erik Wrangel wurden bewacht. Brahe hatte darum gebeten, den gefallenen Musketier beerdigen zu dürfen; es war ihm nicht erlaubt worden. Alexandra und ihre Reisegruppe hatten ihre drei Pferde wieder zurückerhalten (der Schreiber und der Bauer teilten sich einen Gaul), und der Oberst hatte ihnen befohlen, sich in seiner und der Nähe seiner Offiziere zu halten. Alexandra hatte den Befehl nicht infrage gestellt. Ein Blick in die Gesichter der sächsischen Soldaten hatte genügt, um zu wissen, dass diese keinen Deut besser waren als die bayerischen Dragoner.
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