Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
erwartete, die gleiche Vorliebe für graue Morgendämmerungen aufzubringen. Dass sie Ebba nicht geweckt hatte, war ein ebenso großer Liebesbeweis wie die Leidenschaft, die sie die ganze Nacht geteilt hatten. Dann hörte Ebba das Kratzen der Feder und blinzelte gegen das hell erleuchtete Fenster. Der Schreibtisch davor und die Gestalt mit der wild abstehenden Lockenmähne waren nur als ein Schemen erkennbar.
»Guten Morgen«, sagte Ebba.
»Guten Morgen«, erwiderte die Königin, ohne mit dem Schreiben innezuhalten. »Ausgeschlafen?«
»Die Reise war anstrengend.«
»Ich kann mich an weitere anstrengende Tätigkeiten erinnern.«
Ebba seufzte erneut und streckte sich wie eine Katze. »Das war keine Anstrengung, sondern ein Vergnügen.« Sie schlang die Decke um sich, bis sie sich daran erinnerte, wo sie war. Eine Reise ins Land der Barbarei verdarb einen; wochenlang hatte sie den zweifelhaften Komfort eines Stadthausesin Münster ertragen, in dem Kälte das vorherrschende Merkmal war und in dem sie in den letzten Tagen vor ihrer Abreise auf dem Wasser in ihrem Waschstand eine dünne Eisschicht hatte durchbrechen müssen, um sich waschen zu können. Kristina, die sich sonst kaum einen körperlichen Luxus leistete, hielt ihr Schlafzimmer hingegen beheizt. Die Königin war jemand, der mit den Augen genoss; ihrer Geliebten die Decke wegzuziehen und jeden Quadratzoll ihres nackten Körpers erst mit den Blicken zu streicheln und sich dann selbst dabei zuzusehen, wie sie diesen Körper liebkoste, war ihre Eigenart. Ebendiese Eigenart sorgte auch für die Helligkeit des Schlafzimmers an sonnigen Tagen; die Wand gegenüber den Fenstern war zudem mit Spiegeln verkleidet, die das Sonnenlicht zurückwarfen und blitzend weiße und regenbogenfarbene Flecken überall auf die Wände zauberten.
Ebba ließ die Decke sinken, stand auf und trat splitternackt neben die Königin.
Kristina hatte sich einen Mantel über die Schultern geworfen. Darunter war sie ebenfalls nackt. Ebba küsste sie auf den Scheitel und lehnte sich dann an den Stuhl. Der Mantel hatte einen Pelzkragen, dessen Haare sie an der Haut kitzelten. Sie bewegte sich und fühlte die Berührung des Pelzes auf ihren Brüsten. Es sandte eine kurze Atemlosigkeit durch ihren Körper. Auf ihren Armen richteten sich die Härchen auf, und ihre Brustwarzen wurden hart. Die Erinnerung an die vergangene Nacht und den Taumel der Wiedersehensfreude, gepaart mit zu lange unterdrückter Lust auf beiden Seiten und dem Willen, erst zu schlafen, wenn die aufgestaute Leidenschaft bis zur Neige gekostet war, kroch in ihren Schoß. Sie räusperte sich und deutete auf das eng beschriebene Blatt.
»Arbeit?«
»Nein. Ich schreibe an René Descartes in Paris.«
»Du liebe Güte. Arbeit!«
»Vergnügen, mein Kind. Reines Vergnügen.« Kristina, die fast auf den Tag gleich alt war wie Ebba, blickte hoch und lächelte. »Philosophie ist niemals Arbeit, genauso wenig wie Lernen, Denken und …«
»Ficken?«, schlug Ebba vor.
»Ich wollte sagen: regieren.«
»Ah ja.«
»Ich versuche Descartes zu überreden, hierher nach Stockholm zu kommen. Ich möchte mit ihm diskutieren … ich möchte verstehen …«
»Und er weigert sich, deinem Ruf zu folgen?«
»Unverschämt, nicht wahr?«
»Vielleicht mag er nicht gerne früh aufstehen?«
Kristina legte die Feder beiseite und lehnte sich im Stuhl zurück, sodass sie Ebba ins Gesicht sehen konnte. Ebba lächelte. Die Königin öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Ebba beugte sich hinunter und küsste sie. Nach einem oder zwei Herzschlägen erwiderte Kristina den Kuss, und die Atemlosigkeit befiel Ebba erneut. Sie hielt Kristinas Gesicht mit beiden Händen umfangen, bis beide keine Luft mehr bekamen und den Kuss abbrechen mussten.
»Je t’aime, ma Belle« , sagte Kristina heiser.
Ebba machte die paar Schritte zum Bett zurück und legte sich darauf. Im Spiegel sah sie sich selbst: die rotblonden Locken, nicht weniger zerzaust als das dunkle Haar der Königin, das schmale Gesicht, dessen Wangen sich bereits wieder rot zu färben begannen, ihre helle Haut … sie sah sich an und mochte, was sie sah, und als die Königin aufstand, dabei den Mantel von ihren Schultern gleiten ließ und näher trat, um ebenfalls Ebbas Spiegelbild zu betrachten, beschleunigte sich der Herzschlag der jungen Gräfin.
Wie ist das möglich?, fragte sie sich selbst. Wie oft hat sie mir Erfüllung geschenkt in der letzten Nacht – viermal, fünfmal? Warum begehre ich
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