Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
Äpfeln dargestellt wurde. Es konnte sein, dass das, von dem Alexandra ahnte, dass sie es würde tun müssen, Lýdie töten würde. Es war sicher, dass sie sterben würde, wenn sie es nicht tat. Karinas Gesicht zerfiel vor Alexandras Augen, und sie sank auf die Knie. Ihre bis jetzt mühsam bewahrte Fassung brach zusammen.
»Was ist mit meinem Kind?«, heulte sie. »Alexandra, was ist mit ihr? Sie wird doch wieder gesund! Alexandra, mach sie gesund!«
Natürlich weiß ein Heiler manchmal, dass seine Künste nicht helfen werden , sagte die Stimme der alten Barbora.
Die Novizin hatte in ihre Tasche gegriffen und eine lange, schmale Klinge aus einem Lederetui herausgenommen. Sie musterte sie mit zusammengekniffenen Augen. Selbst in dem schlechten Licht konnte man sehen, dass die Klinge verschmiert war von Rost, altem Blut, dem Dreck in dem Etui und blind vor Fingerabdrücken. Alexandra nahm sie der Schwester aus der Hand, und bevor diese sie daran hindern konnte, rammte sie die Klinge in die Holzvertäfelung und brach sie ab. Das Heft mit dem abgebrochenen Klingenrest warf sie der Novizin vor die Füße.
»Dutzende von Aderlässen«, sagte sie mit einer Stimme, die sich vollkommen normal anhörte, aber in ihrem Inneren schrie sie mit höchster Lautstärke. »Dutzende – an Siechen, an Fieberkranken, an Halbtoten, an Menschen, die an Syphilis, an Auswurf, an Hautkrankheiten leiden. Und immer haben Sie die Klinge danach in Ihr Etui und das Etui in Ihre Tasche gesteckt. Hervorragende Vorsichtsmaßnahme, Schwester – so können Sie sich nicht selbst schneiden. Hätten Sie es getan, dann lägen Sie jetzt neben Lýdie. Wie viele Ihrer Patienten sind gestorben, Schwester?«
Der Mund der Novizin arbeitete. Ihre Augen brannten vor Tränen und vor Hass gleichermaßen.
Alexandra kauerte sich vor Karina auf den Boden und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Ich glaube, ich werde etwas Schreckliches tun müssen, Karina. Es kann Lýdies Leben retten oder nicht.« Wenn die Hoffnung des Arztes stirbt, stirbt der Patient , flüsterte Barboras Stimme. »Es wird ihr Leben retten.«
»Was … was meinst du damit …?«, stammelte Karina.
»Ich werde …«, begann die Schwester.
»Sie werden beten gehen, Schwester«, sagte Alexandra. »Vielleicht sind Sie dabei zu etwas nutze. Mama – ich brauche deine Hilfe.«
4.
Das Spital war fast leer; jeder, der noch halbwegs kriechen konnte, war zur Kapelle gekrochen. Zweifelsohne waren einige dabei so frei gewesen, kleine Spuren aus Blut, Urin oder Kot von ihren Betten zur Kapelle zu ziehen. Nun, umso besser, da fand man die Narren wenigstens wieder, wenn sie in die falsche Richtung krochen und statt in der Kapelle in der Zelle der Mutter Oberin landeten. Idioten! Pah! Und das Christfest war die größte Idiotie von allem. Wenn je einer umsonst gestorben war, dann Jesus Christus am Kreuz.
Sebastian Wilfing fragte sich, ob er diese Überlegungen der Mutter Oberin mitteilen sollte, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass es ihren Hass auf ihn noch hätte vergrößern können. Er grinste in sich hinein.
»Hilf mir, Agnes«, ächzte er. »Meine Fersen tun weh. Schieb mir ein Kissen unter.«
Es war ein glücklicher Umstand, dass die Lager links und rechts von Sebastian jeweils zu mehreren frei waren. Danachkamen ein paar Trottel, spärlich verteilt, aber diese waren so hinüber, dass sie keinen Anteil an Sebastian und der Mutter Oberin nahmen; hätten sie es gekonnt, wären sie zur Christvesper geschlurft, anstatt in ihren Betten liegen zu bleiben.
Die Oberin schlug die Decke zurück und schob Kissen unter Sebastians Waden. Er verdrängte den Gedanken, dass sie noch vor ein paar Monaten kräftig zu tun gehabt hätte, seine Beine zu heben; da war er ein echtes Mannsbild gewesen, ein Koloss, der seine Schuhe nur dann sah, wenn er sie auszog und einen Schritt zurücktrat, der auf dem Abtritt nach seinen Dienstboten pfiff und sich dann vom Abtrittloch in die Höhe ziehen ließ, weil er selbst nicht mehr aufstehen konnte. Natürlich hatte er sich auch nicht den Hintern abwischen können – seine Arme hätten gar nicht lang genug sein können, damit sie um die ausladende Rundung seines Hinterteils hätten herumgreifen können. Scheiß drauf, wozu hatte man Dienstboten? Und jetzt? Der Gedanke ließ sich nicht so einfach beiseiteschieben, dass die Haft eine halbe Portion aus ihm gemacht hatte. Die Haut hing an seinem Leib wie eine schmierige, gelbliche Decke, und manchmal, wenn er sich
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