Die Erbin Der Welt erbin1
kalt seinen Blick.
Ich legte meine Hand auf seine Schulter, die wie ein Bogen gespannt war. »Es geht mir gut.«
»Dieser hier ist gefährlich, Yeine. Wir trauen ihm nicht.«
»Wie nett, Si'eh«, sagte Naha, und da war dieser grausame Klang wieder in seiner Stimme. Er breitete seine Arme aus und ahmte so spöttisch meine Geste nach. »Ich habe dich vermisst. Komm und gib deinem Vater einen Kuss.«
Si'eh zischte, und ich fragte mich kurz, ob ich auch nur den Hauch einer Chance hatte, ihn aufzuhalten. Dann lachte Naha und setzte sich wieder in den Stuhl. Natürlich wusste er genau, wie weit er gehen konnte.
Si'eh sah so aus, als ob er immer noch Entsetzliches vorhätte, als mir endlich die Idee kam, ihn abzulenken. »Si'eh. Ich war letzte Nacht mit deinem Vater zusammen.«
Er wirbelte herum, um mich anzusehen, und war so erschrocken, dass seine Augen schlagartig wieder menschlich wurden. Hinter ihm kicherte Naha leise.
»Das ist nicht möglich«, sagte Si'eh. »Es ist Jahrhunderte her seit ...« Er hielt inne und beugte sich nach vorne. Ich sah, wie seine Nasenflügel leicht bebten — einmal, zweimal. »Himmel und Erde. Du warst mit ihm zusammen.«
Verlegen schnupperte ich verstohlen am Kragen meines Bademantels. Ich hoffte, dass nur Götter in der Lage waren, das festzustellen.
»Ja.«
»Aber er ... das hätte ...« Si'eh schüttelte vehement seinen Kopf. »Yeine, oh, Yeine, weißt du, was das bedeutet?«
»Es bedeutet, dass dein kleines Experiment erfolgreicher war, als du dachtest«, sagte Naha. In den Schatten des Stuhls glitzerten seine Augen und erinnerten mich ein wenig an sein anderes Ich.
»Vielleicht solltest du sie auch einmal ausprobieren, Si'eh. Du musst doch genug von perversen alten Männern haben.«
Si'eh wurde stocksteif, und seine Hände ballten sich zu Fäusten. Ich staunte, dass solche Provokationen bei ihm anschlugen — aber vielleicht war das eine weitere seiner Schwächen. Er hatte sich den Gesetzen der Kindheit verschrieben; vielleicht lautete eins dieser Gesetze: Du sollst nicht ruhig bleiben, wenn du schikaniert wirst ...
Ich berührte sein Kinn und drehte sein Gesicht wieder zu mir. »Das Zimmer. Könntest du ...?«
»Oh. Ja.« Er drehte Naha demonstrativ den Rücken zu, sah sich im Zimmer um und sagte dann schnell und schrill etwas in seiner Sprache. Das Zimmer war plötzlich wieder wie neu. Einfach so.
»Praktisch«, sagte ich.
»Niemand kann Durcheinander besser aufräumen als ich.« Er ließ ein schnelles Grinsen aufblitzen.
Naha stand auf und sah die wiederhergestellten Bücherregale durch, wobei er uns geflissentlich ignorierte. Erst jetzt wurde mir klar, dass er vor Si'ehs Auftauchen anders gewesen war ... besorgt, respektvoll und beinahe freundlich. Ich öffnete den Mund, um ihm dafür zu danken, und besann mich dann eines Besseren. Si'eh hatte sich viel Mühe gegeben, diese Seite vor mir zu verbergen, aber ich hatte die Zeichen eines grausamen Zugs in ihm gesehen. Zwischen den beiden gab es seit sehr langer Zeit böses Blut, und so etwas war höchst selten einseitig.
»Lass uns irgendwo hingehen, wo wir reden können. Ich habe eine Nachricht für dich.« Si'eh unterbrach meine Tagträume und zog mich zur nächsten Wand. Wir gingen hindurch in den unge- nutzen Raum dahinter.
Einige Räume später seufzte Si'eh, öffnete seinen Mund, schloss ihn wieder und entschloss sich dann endlich, zu sprechen. »Die Nachricht, die ich bringe, ist von Relad. Er will dich sehen.«
»Warum?«
»Das weiß ich nicht. Aber ich finde, du solltest nicht hingehen.«
Ich runzelte die Stirn. »Warum nicht?«
»Denk nach, Yeine. Du bist nicht die Einzige, die morgen dem Tod ins Gesicht schaut. Wenn du Scimina zur Erbin machst, wird sie als Erstes ihren kleinen Bruder umbringen, und er weiß das. Was wäre, wenn er beschließt, dass dich umzubringen — und zwar jetzt, vor der Zeremonie — der beste Weg ist, um sein Leben ein paar Tage zu verlängern? Es wäre natürlich sinnlos, denn Dekarta hat gesehen, was mit Darr geschieht. Er wird einfach ein anderes Opfer bestimmen und der Person sagen, sie soll Scimina erwählen. Aber verzweifelte Männer denken nicht immer vernünftig.«
Si'ehs Argumentation war einleuchtend — aber etwas anderes stimmte nicht. »Hat Relad dir befohlen, mir diese Nachricht zu überbringen?«
»Nein, er hat mich gebeten. Und er bittet darum, dich zu sehen. Er sagte: Wenn du sie siehst, erinnere sie daran, dass ich nicht meine Schwester bin. Ich habe ihr
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