Die Erbin Der Welt erbin1
Vater nicht daran erkranken würde. Wir gehörten zwar zum niederen Adel, aber immerhin zum Adel. Aber mein Großvater väterlicherseits war nach Darr-Standard ein Gewöhnlicher — ein gutaussehender Jäger, der meiner Großmutter aufgefallen war. Scheinbar reichte das der Krankheit.
Aber trotzdem ... mein Vater überlebte.
Mir wird später wieder einfallen, warum das wichtig ist.
An dem Abend machte ich mich bettfertig und kam aus dem Bad, als ich Si'eh vorfand, der mein Abendessen verspeiste und eins der Bücher las, das ich aus Darr mitgebracht hatte. Das Abendessen war mir egal, das Buch war eine andere Sache.
»Gefällt mir«, sagte Si'eh und winkte mir nebenbei einen Gruß zu. Er sah nicht von dem Buch auf. »Ich habe noch nie Darr-Poesie gelesen. Seltsam — nach unseren Unterhaltungen dachte ich immer, dass die Darre alle geradeheraus sind. Aber das hier: Jede Zeile ist voller Irreführungen. Wer immer das geschrieben hat, denkt zyklisch.«
Ich setzte mich aufs Bett und bürstete mir die Haare. »Es wird als höflich angesehen, zu fragen, bevor man in die Privatsphäre anderer eindringt.«
Er legte das Buch nicht weg, klappte es aber zu. »Ich habe dich gekränkt.« Sein Gesichtsausdruck war nachdenklich. »Womit habe ich das getan?«
»Der Dichter war mein Vater.«
Überraschung breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Er ist ein guter Dichter. Warum stört es dich, wenn andere sein Werk lesen?«
»Weil das Buch mir gehört.« Er war seit zehn Jahren tot — er starb bei einem Jagdunfall, eine typisch männliche Art zu sterben —, und es tat immer noch weh, an ihn zu denken. Ich senkte die Bürste und sah hinunter auf die dunklen Locken, die sich in den Borsten verfangen hatten. Amn-Locken, wie meine Amn- Augen. Manchmal fragte ich mich, ob mein Vater mich auch für hässlich gehalten hatte, wie so viele Darre es taten. Wenn ja, wäre es wegen meiner Amn-Züge gewesen — oder weil ich nicht noch mehr wie eine Amn aussah, wie meine Mutter?
Si'eh sah mich lange an. »Ich wollte dich nicht kränken.« Dann stand er auf und legte das Buch zurück auf mein kleines Regal.
Ich spürte, wie ich mich innerlich entspannte , fuhr aber fort, meine Haare zu bürsten, damit er es nicht merkte. »Es überrascht mich, dass es dich kümmert«, sagte ich. »Sterbliche sterben ständig. Du musst doch genug davon haben, auf unsere Trauer Rücksicht zu nehmen.«
Si'eh lächelte. »Meine Mutter ist auch tot.«
Die Verräterin, die niemanden verraten hatte. Ich hatte sie nie als die Mutter von jemandem gesehen.
»Außerdem hast du meinetwegen versucht, Nahadoth zu töten. Das bringt dir ein wenig zusätzliche Rücksichtnahme ein.« Er setzte sich auf meinen Frisiertisch, wobei sein Allerwertester meine Toilettenartikel zur Seite schubste; offensichtlich ging die zusätzliche Rücksichtnahme nicht ganz so weit. »Also, was willst du?«
Ich zuckte zusammen. Er grinste.
»Du warst froh, mich zu sehen, bis du bemerkt hast, dass ich lese.«
»Oh.«
»Nun?«
»Ich habe mich gefragt ...« Plötzlich fand ich mich töricht. Wie viele Probleme hatte ich jetzt? Warum beschäftigte ich mich zwanghaft mit den Toten?
Si'eh zog die Knie an, setzte sich in den Schneidersitz und wartete. Ich seufzte.
»Ich habe mich gefragt, ob du mir das, was du über ... über meine Mutter weißt, erzählen kannst.«
»Nicht Dekarta oder Scimina oder Relad? Oder über meine merkwürdige Familie?« Er legte den Kopf schief, und seine Pupillen wurden während eines Atemzugs doppelt so groß. Ich starrte ihn an und war kurz davon abgelenkt. »Interessant. Wie kommt das auf einmal?«
»Ich habe heute Relad getroffen.« Ich rang nach Worten, um weiter zu erklären.
»Die beiden sind schon ein Pärchen, nicht wahr? Er und Scimina. Die Geschichten, die ich dir über ihren kleinen Privatkrieg erzählen könnte ...«
»Darüber will ich nichts wissen.« Meine Stimme klang zu scharf, als ich das sagte. Eigentlich wollte ich vor ihm nicht zugeben, wie sehr mich das Treffen mit Relad beunruhigt hatte. Ich hatte so etwas wie Scimina erwartet, aber die betrunkene, verbitterte Wirklichkeit war viel schlimmer. Würde ich so wie Relad werden, wenn ich nicht bald aus Elysium entkommen konnte?
Si'eh wurde still und las wahrscheinlich jeden Gedanken von meinem Gesicht ab. Deshalb überraschte es mich nicht sonderlich, als ein berechnender Ausdruck in seine Augen trat und er mir ein träges, boshaftes Lächeln schenkte.
»Ich werde dir sagen, was ich
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