Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erbin Der Welt erbin1

Die Erbin Der Welt erbin1

Titel: Die Erbin Der Welt erbin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: jemisin
Vom Netzwerk:
schwer von Begriff, aber man muss das verstehen. Es war einfach ein bisschen zu viel für mich.
    »Braucht Ihr Hilfe?«
    Mein Geist warf sich mit der Wucht eines ertrinkenden Opfers auf die Stimme der alten Bibliothekarin. Ich muss schon einen erbärmlichen Anblick geboten haben, als ich zu ihr herumwirbelte. Ich schwankte, mein Mund stand weit offen, meine Hände waren ausgestreckt und zu Krallen verformt.
    Die alte Frau, die von einer der Schranklücken eingerahmt wurde, sah mich teilnahmslos an.
    Mit einiger Anstrengung schloss ich meinen Mund und senkte meine Hände. Dann richtete ich mich aus der grotesken Hocke, in die ich zusammengesunken war, auf. Innerlich zitterte ich immer noch, aber ein Hauch meiner Würde kehrte zu mir zurück.
    »Ich ... ich, nein«, brachte ich nach einer Weile heraus. »Nein. Mir ... geht es gut.«
    Sie sagte nichts und beobachtete mich weiter. Ich wollte ihr sagen, sie solle fortgehen, aber mein Blick wurde von dem Ding, das mich so sehr geschockt hatte, wieder angezogen.
    Von der Rückseite eines Bücherschranks, starrte der Herr des Lichts und der Ordnung mich an. Er war nur ein Kunstwerk — ein Relief im Amn-Stil. Die Konturen waren in eine weiße Marmorfliese gemeißelt und mit Blattgold ausgelegt worden. Trotzdem war es dem Künstler gelungen, Itempas sehr detailliert in Lebensgröße einzufangen. Er hatte die elegante Haltung eines Kriegers, sein Körper war breit und hatte starke Muskeln, seine Hände ruhten auf dem Griff eines riesigen, geraden Schwertes. Sein Gesicht war von ernster Vollkommenheit, und seine Augen hefteten sich wie Lichtkegel auf mich. Ich hatte Darstellungen von ihm in den Büchern der Priester gesehen, aber nicht so. Dort war er dünner, feingliedriger, wie ein Amn. Er wurde immer lächelnd gezeichnet und niemals mit einem so kalten Ausdruck.
    Ich schob meine Hände hinter mich, um mich hochzudrücken — und spürte noch mehr Marmor unter meinen Fingern. Diesmal war der Schock nicht ganz so groß, als ich mich umdrehte. Teilweise hatte ich das, was ich sah, schon erwartet: Obsidian- intarsien mit einer Unzahl winziger, sternähnlicher Diamanten, die eine schlanke, sinnliche Gestalt bildeten. Ihre Hände waren von den Seiten aus nach vorne geworfen und verloren sich beinahe in dem ausgebreiteten Umhang aus Haar und Macht. Ich konnte das — frohlockende? schreiende? — Gesicht der Gestalt nicht sehen, da es aufwärts gerichtet war und von dem offenen, heulenden Mund beherrscht wurde. Aber ich wusste trotzdem, wer er war.
    Außer ... ich runzelte verwirrt die Stirn und streckte meine Hand aus, um das zu berühren, was wie ein Wirbel aus Tuch oder die Rundung einer Brust aussah.
    »Itempas zwang ihn in eine einzige Form«, sagte die Alte mit sehr leiser Stimme. »Als er frei war, war er alles Schöne und Schreckliche zugleich.« Ich hatte noch nie eine treffendere Beschreibung gehört.
    Aber es gab noch eine dritte Fliese zu meiner Rechten. Ich sah sie aus dem Augenwinkel. Hatte sie von dem Moment an gesehen, als ich zwischen den Regalen durchgeschlüpft war. Ich hatte vermieden, sie anzusehen. Die Gründe dafür hatten nichts mit meiner Vernunft zu tun, sondern nur mit dem, was ich tief drinnen in dem unvernünftigen Kern meiner Instinkte vermutete.
    Ich drehte mich um und zwang mich, die dritte Fliese anzusehen, während die alte Frau mich beobachtete.
    Verglichen mit ihren Brüdern war Enefas Bildnis sittsam. Unspektakulär. Im Profil saß sie auf grauem Marmor, gekleidet in ein einfaches Unterhemd, und ihr Gesicht war dem Boden zugewandt. Die Feinheiten fielen erst dann auf, wenn man näher hinsah. In ihrer Hand hielt sie eine kleine Sphäre — ein Gegenstand, den man sofort erkannte, wenn man Si'ehs Sonnensystemmodell gesehen hatte. Und jetzt verstand ich auch, warum er seine Sammlung so sehr schätzte. Ihre Haltung war gespannt und voller Energie, eher kauernd als sitzend. Obwohl ihr Gesicht nach unten gerichtet war, blickten ihre Augen nach oben und den Betrachter seitlich an. Irgendetwas an ihrem Blick war ... nicht verführerisch. Dafür war er zu offen. Auch nicht skeptisch. Aber ... abschätzend. Ja. Sie sah mich an, durch mich hindurch und wägte alles, was sie sah, ab.
    Ich streckte meine zitternde Hand aus, um ihr Gesicht zu berühren. Es war runder als meins, hübscher, aber die Linien waren dieselben, die ich auch im Spiegel sah. Das Haar war länger, aber die Locken passten. Der Künstler hatte ihre Iris mit blassgrüner Jade ausgelegt.

Weitere Kostenlose Bücher