Die Erbin und ihr geliebter Verraeter
sein. Sie weigerte sich.
Aber das schien nicht zu funktionieren. Sie fühlte sich ganz leicht.
Er bedachte ihr Kleid mit einem vielsagenden Blick. „Wenn ich allerdings geahnt hätte, dass Sie die Versammlung zu blenden versuchen würden, hätte ich mir Scheuklappen mitgebracht. Wie für ein Pferd.“ Er hielt sich die Hände zu beiden Seiten ans Gesicht, um zu zeigen, was er meinte. „Dann kann ich nicht nervös werden und scheuen.“
Sie lächelten einander an, und zum ersten Mal seit dem Morgen hatte Jane das Gefühl, alles würde gut werden. Irgendwie.
„Gut“, sagte er und trat einen Schritt dichter an sie heran. „Gibt es einen Ort, an dem wir darüber sprechen können, was Sie brauchen, oder sollen wir uns zu einer anderen Zeit verabreden?“
„Zeit.“ Sie lachte. „In fünfzehn Minuten soll ich den ehrenwerten George Dorling treffen.“ Sie atmete keuchend ein. „Um mit ihm durchzubrennen.“
Etwas veränderte sich in seiner Miene – etwas, was alle Belustigung fortwischte. Er machte noch einen Schritt auf sie zu. „Das werden Sie, verdammt noch mal nicht tun.“
Er war nicht verheiratet. Sie hatte ihm ein sinnloses Telegramm geschickt, in dem nur der Name der Stadt stand, und er war innerhalb weniger Stunden hergekommen. Jane war nicht wirklich gut darin, Menschen zu verstehen, aber selbst sie konnte zwei und zwei zusammenzählen und eine Zahl über drei erhalten. Sie spürte, wie sie trotz allem lächelte.
Er hingegen holte tief Luft und schüttelte den Kopf. Er blickte nach oben.
„Tut mir schrecklich leid.“ Seine Stimme klang ein wenig rau. „Das war übertrieben.“ Seine Hand ballte sich zur Faust. „Ist es das, was Sie wollen?“
„Es ist nicht so, wie Sie denken“, erklärte Jane. „Es ist kein echtes Durchbrennen.“
Er runzelte die Stirn.
„Oder wird es nicht sein. Wir haben keine Zeit, dass ich es genau erkläre. Ich muss meinen vermeintlichen Bräutigam bestechen. Sehen Sie, wenn er so tut, als brenne er mit mir durch, wird meine Tante denken, ich sei nach Gretna Green unterwegs. Wenn sie jedoch glaubt, ich sei allein weggelaufen, wird sie meinen Onkel unterrichten, dass ich auf dem Weg zu ihm bin. Dann werde ich meine Schwester nie rechtzeitig holen können.“
Jeder andere wäre vielleicht davon entsetzt gewesen. Oliver nickte nur.
„Das ergibt so gut wie keinen Sinn“, bemerkte er. „Aber ich entnehme dem, wir haben einen straffen Zeitplan. Sie müssen ein Durchbrennen vortäuschen, und dann …“
„Dann müssen wir nach Cambridge. So schnell wie möglich.“
„Um den Teil der Angelegenheit kann ich mich kümmern. Ich werde ein Transportmittel finden.“ Oliver runzelte die Stirn. „Wenn wir nach Cambridge fahren und Ihre Tante nichts davon wissen soll … Heute Nacht geht kein Zug mehr. Sie wird es erfahren, wenn wir in einem Hotel in der Stadt einkehren.“
„Ich habe von einer Freundin meinen Koffer zum ‚Stag and Hounds‘ in Burton Joyce bringen lassen. Ich hatte vor, dort zu übernachten und dann den ersten Zug am Morgen zu nehmen.“
Er nickte. „Ich werde meine Sachen dorthin schicken lassen und mir ein eigenes Zimmer reservieren.“ Er hielt inne. „Gott, Jane …“ Seine Hand zuckte in ihre Richtung, aber er hatte sich gleich wieder unter Kontrolle. Alles, was er sagte, war: „Es ist gut, Sie zu sehen. Gehen Sie und bestechen Sie Ihren Verehrer.“
Sie lachte.
Er wandte sich zum Gehen, drehte sich aber noch einmal um. „Damit hatte ich nicht gerechnet.“
Sie schüttelte den Kopf in gespieltem Ernst. „Niemand rechnet mit einem vorgetäuschten Durchbrennen.“
Er streckte eine Hand aus und berührte ihre. Jane musste sich auf die Lippe beißen, um ihn nicht festzuhalten und nie wieder loszulassen.
„Das ist es nicht, was ich meinte“, sagte er mit leiser Stimme. „Ich habe Sie nie vergessen. Warum also fühle ich mich jetzt, wo ich hier bin, so, als erinnerte ich mich an Sachen, die ich nicht gewusst habe?“ Er schaute ihr in die Augen. „Du hast mir gefehlt, Jane.“
Oh Gott. Sie sah ihn wieder an, wünschte, die Welt um sie herum würde verschwinden. All die Träume, an die zu erinnern sie sich nicht gestattet hatte … Sie kamen alle mit Macht in einer Hitzewelle zurück. Aber alles, was sie sagte, war: „Du mir auch.“
D ORLING WARTETE BEREITS auf Jane in dem Nebenraum, in dem sie sich verabredet hatten. Sie blieb auf der Türschwelle stehen und betrachtete den Mann. Sie hätte sich schlecht gefühlt, weil sie ihn
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