Die Erbin und ihr geliebter Verraeter
sie bereit war oder nicht. Sie hatte niemanden, auf den sie sich verlassen konnte als sich selbst, keine Waffen als die beiden Rollen Geldscheine. Eine war an ihrem Bein befestigt, die andere steckte sehr unbequem in ihrem Ausschnitt zwischen ihren Brüsten.
Zu dem Saal musste man eine Treppe emporsteigen. Von der Anstrengung wurde ihr warm. Bei jedem Schritt scheuerten die Geldscheine zwischen ihren Brüsten. Positiv war natürlich, dass das Geld nicht versehentlich herausfallen konnte, so fest, wie es da klemmte. Andererseits fürchtete sie, es würde einen dauerhaften Abdruck an ihrem Busen hinterlassen. Es war nur gut, dass sie keine Pistole brauchte. Das würde richtig wehtun, wenn sie eine dort hätte verstecken müssen.
Jane schenkte ihrer Tante ein Lächeln, reckte die Schultern und betrat den Festsaal.
Drinnen herrschte ein unvorstellbares Gedränge und daher auch erdrückende Hitze, die sie schier zu überwältigen drohte. Ihr blieb weniger als eine halbe Stunde, um Dorling zu finden und ihm zu erklären, was sie benötigte.
Aber es war nicht Dorling, auf den ihr Blick fiel, als sie die Menge mit den Augen absuchte. Es war jemand ganz anderes.
„Oh“, entfuhr es ihr. Sie musste sich das einbilden – diese Augen, aus denen leise Belustigung leuchtete, hellblau und funkelnd. Dieser leuchtend rote Schopf. Diese Brille.
Er trug dunkle Hosen und einen Rock mit Schößen. Seine Manschetten schimmerten weiß unter den Ärmeln hervor. Sein Haar schien im Lampenlicht zu strahlen wie ein Leuchtfeuer. Er blickte sich um, rückte seine Brille zurecht und entdeckte sie.
Es war Monate her, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, und sein Anblick traf sie wie ein Schlag – ein willkommener Schlag, der sie vor Erleichterung fast umwarf. Alle anderen im Raum verschwanden. Es gab nur noch ihn – ihn und sie –, und die Entfernung und Zeit, die zwischen ihnen lag, schien zu schrumpfen.
Es bedurfte jeder Unze Selbstbeherrschung, die Jane aufbringen konnte – jedes letzte bisschen, das sie zusammenkratzen konnte –, dass sie nicht quer durch den Saal lief und sich ihm in die Arme warf.
Aber ihre Tante schaute zu.
Und so wartete sie sittsam, versuchte, das unansehnliche Schweißrinnsal nicht weiter zu beachten, das ihr den Rücken herunterlief, versuchte, sich nicht am Busen zu kratzen. Sie wartete, unterhielt sich mit anderen, während ihr Verstand benommen um eine Frage kreiste.
Wie war er nur so schnell hergekommen?
Oh, es war möglich, dass er es getan hatte. Aber er hätte praktisch unverzüglich in einen Zug springen müssen, nachdem er ihr Telegramm erhalten hatte.
Ihr war immer noch leicht benommen zumute, als Mrs. Laurens mit Oliver im Schlepptau zu ihnen kam. Jane hörte kaum die Worte, mit denen sie bekannt gemacht wurden. Sie hatte keine Ahnung, was für eine Geschichte er erzählt hatte. Sie nickte nur in benommener Zustimmung, als er sich erkundigte, ob sie ihn auf eine Runde durch den Saal begleiten wolle.
„Miss Fairfield“, sagte er mit einem Lächeln.
„Mr. …“ Sie schaute zu ihm auf. Sie konnte sich nicht einmal erinnern, ob er seinen echten Namen bei der Vorstellung verwendet hatte. Sie hatte nicht wirklich zugehört. „Mr. Cromwell“, sagte sie schließlich.
Ein belustigtes Licht trat in seine Augen.
„Sie sind gekommen.“ Sie wollte seinen Arm umklammern.
„Natürlich habe ich das getan. Das habe ich doch gesagt.“ Er schaute auf ihr Kleid. „Was für eine gottlose Farbe tragen Sie heute?“
„Grün“, erwiderte sie. „Schlangenbauchgrün. Oder vielleicht ist es auch das Grün einer Wolke aus giftigem Chlorgas.“
„Aber trotzdem schreit niemand und wendet die Augen ab.“ Er lächelte sie an. „Netter Trick. Wie schaffen Sie das?“
Sie erwiderte sein Lächeln strahlend. „Ganz einfach“, sagte sie und rückte die Diamanten an ihrem Hals zurecht. „Ich habe es Ihnen bereits gesagt, das ist der Erbinnen-Effekt.“ Sie lächelte wieder. „Sie sind gekommen, Oliver. Ich kann es nicht fassen. Und auch noch so schnell.“
„Habe ich es Ihnen nicht gesagt?“ Er lächelte auch. „Sie sind nicht allein.“
„Aber das ist Monate her.“ Sie schaute ihn an. „Wir kannten uns ja nur ein paar Wochen. Ich dachte, Sie wären …“ Aber vielleicht war er das ja. Sie schaute ihn entsetzt an.
„Ich bin nicht verheiratet“, erklärte er schlicht. „Und auch nicht verlobt. Und ich werbe auch um keine Frau.“
Sie war fest entschlossen, darüber nicht froh zu
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