Die Erbin und ihr geliebter Verraeter
wäre.“
Jane spürte, wie ihr Herz einen plötzlichen Schlag tat, und hätte beinahe wieder laut gelacht. Emily war es gelungen, ihr ganz offen eine verhüllte Botschaft zu schicken, eine, die ihr Onkel nie würde entschlüsseln können.
„Nun“, erwiderte sie, „dann wird sie sich vermutlich einen besorgen. Wenn Sie vorhatten, sie für verrückt erklären zu lassen …“ Sie sprach nicht zu Ende.
„Das ist nicht vernünftig“, sagte Titus. „Sie braucht keinen Anwalt, und der würde …“ Er schüttelte den Kopf. „Ich nehme an, da sollte ich anfangen zu suchen. Ich werde mich in London erkundigen. Nachforschen, ob ein junges Mädchen da war, das nach Rechtsbeistand gefragt hat.“ Er runzelte missmutig die Stirn. „Wenn du sie zufällig findest, sag ihr … sag ihr, dass ich bereit bin, es mir noch einmal zu überlegen.“ Er schluckte. „Ich unterschreibe auch ein Papier, wenn sie das möchte. Ich will nur … dass sie in Sicherheit ist. Das ist alles, was ich will. Das wollte ich immer.“
Das Traurige daran war, dass Jane ihm das glaubte. Er wollte sie in Sicherheit wissen, und in Sicherheit hatte er sie gehalten. Er hatte sie so sicher gehalten, dass er sie auch vor allem anderen abgeschirmt hatte. Wenn sie laut geworden war, hatte er es ihr vorgehalten, und wenn sie damit aufhörte, wunderte er sich, warum sie sich so anders verhielt.
Aber Titus hatte ihr ja auch nur die Dinge gegeben, die er für sich selbst wollte. Er war in Cambridge geblieben, lange nachdem sein Studium beendet war, wollte über dieselben Sachen wieder und wieder nachdenken. Beinahe tat er ihr leid.
Beinahe. Dann fielen ihr wieder Emilys Narben ein.
„Wenn ich sie finde“, versprach Jane, „werde ich ihr ausrichten, was Sie gesagt haben. Aber wo soll ich mit der Suche anfangen?“ Sie blickte zur Seite, damit er nicht in ihren Augen lesen konnte, dass sie mehr wusste.
„Ja, wo?“ Titus nickte bedrückt. Er streckte die Hand aus und berührte Jane an der Schulter. „Ich kann es jetzt selbst sehen. Auch wenn du es ganz falsch angehst, du machst dir ernsthaft Sorgen um deine Schwester, auf deine eigene seltsame Weise.“
Es war fast, als teilten sie einen Augenblick gegenseitigen Verständnisses. Jane nickte. Er nahm seine Finger von ihrer Schulter und verließ still den Raum.
„Ich vermute, Sie wissen, welchen Anwalt sie aufsuchen will?“, erkundigte sich die Countess of Cambury. „Ich hätte noch mehr gesagt, um zu helfen, aber das schien nicht nötig.“ Sie zuckte die Achseln und lächelte Jane an. „Sie haben das sehr gut gemacht.“
Jane erwiderte ihr Lächeln. „Natürlich weiß ich, wo sie ist. Wenigstens kenne ich seinen Namen, oder weiß zumindest, wie er sich anhört … Ich denke nicht, dass er so schwer zu finden sein wird.“
Früher am selben Tag in London …
A NJAN GLAUBTE NICHT , dass er sich je an den Lärm von London gewöhnen würde. Er war in einer Stadt mit viel mehr Einwohnern aufgewachsen. Man würde denken, dass London nichts dagegen war. Aber die Geräusche hier waren etwas völlig anderes. Nichts, das er festnageln konnte, nur ein allgemeines Gefühl von falsch .
Es störte ihn, dieser Unterschied, sogar an dem Schreibtisch, den er bei „Lirington and Sons“ hatte.
Anjan hatte eine Anstellung. Eine Stelle mit einem verschrammten Schreibtisch im Zimmer des Schreibers, das stimmte, trotz seines Abschlusses mit höchster Auszeichnung oder seiner kürzlich erfolgten Zulassung bei der Anwaltskammer. Aber es war ein Beginn, und für einen Beginn würde er lächeln und bei den Schreibern sitzen. Sobald er sich unersetzbar gemacht hatte, würden sich die Dinge ändern.
Wie als Antwort auf diesen Gedanken öffnete George Lirington die Tür. Er schaute über die gebeugten Köpfe der Schreiber, ehe sein Blick an Anjan hängen blieb.
„Hey, Batty“, sagte er. „Du wirst gebraucht.“
Anjan stand auf. „Lirington and Sons“ hatte sich auf das Seewesen spezialisiert. Anjan hatte man aus einer Reihe von Gründen eingestellt – von denen der Umstand, dass er sowohl Hindi als auch Bengali sprach, nicht der geringste war. Imstande zu sein, die ostindischen Matrosen auf den Schiffen zu verstehen, war durchaus von Vorteil.
Anjan griff nach seinem Notizbuch und stand auf. „Geht es wieder um die Westfield-Bücher?“
Lirington schüttelte den Kopf. „Nein, es ist eine Dame. Sie ist allein und möchte unsere Dienste in Anspruch nehmen.“ Er sah Anjan neugierig an. „Sie hat sich
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