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Die Erbin und ihr geliebter Verraeter

Die Erbin und ihr geliebter Verraeter

Titel: Die Erbin und ihr geliebter Verraeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Courtney Milan
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Und anders als bei ein paar Flaschen Wein zu viel ließ es sich nicht durch irgendeine wirkungsvolle Arznei beseitigen.
    Kein Apotheker auf der Welt hatte eine Kur gegen die Wirklichkeit.
    Er hatte von Anfang an gewusst, worauf es hinauslaufen würde. Violet war in ihrem Gewächshaus. Als er um die Büsche herumkam, sah er sie auf einem Hocker sitzen und konzentriert eine Ansammlung von kleinen Blumentöpfen mit Erde betrachten. Sie hatte die Füße in den Stiefeletten um die Hockerbeine gehakt. Selbst von da, wo er stand, konnte er sie leise summen hören.
    Sebastian war übel.
    Das war kein Grund, sich nicht ans vorgeschriebene Prozedere zu halten. Durch die äußere Tür von Violets Gewächshaus gelangte man in eine verglaste Diele. Er zog sich die Schuhe aus und ersetzte sein Jacket durch einen Gärtnerkittel. Er betrachtete sich und die Luft um sich herum prüfend. Keine Bienen zu sehen.
    Sie hob nicht den Blick, als er die zweite Tür öffnete, und auch nicht, als er durch die Gazevorhänge, mit denen Insekten ferngehalten wurden, ins Innere trat. Sie hob auch nicht den Blick, als er zu ihr trat. Sie war so sehr auf die winzigen Tontöpfchen vor sich konzentriert, das Vergrößerungsglas in der Hand, dass sie es gar nicht gehört hatte.
    Himmel. Selbst nach dem, was er gestern Abend zu ihr gesagt hatte, wie er sie einfach hatte stehen lassen und gegangen war, sah sie heute, wie sie hier saß, unvermindert heiter und fröhlich aus. Und er würde das alles ruinieren.
    Er hatte sich vor Jahren mit dieser Scharade einverstanden erklärt, als er noch nicht begriffen hatte, was geschehen würde. Als es nur bedeutet hatte, seinen Namen darunter zu setzen und Violet zuzuhören, was ihm beides nicht schwer erschienen war.
    „Violet“, sagte er leise.
    Er erhielt keine Antwort.
    „Violet“, wiederholte er, dieses Mal ein wenig lauter.
    Er konnte sehen, wie sie sich ihrer Umgebung wieder bewusst wurde. Sie blinzelte mehrmals, legte langsam das Vergrößerungsglas hin, bevor sie sich zu ihm umdrehte.
    „Sebastian!“, rief sie. In ihrer Stimme schwang echte Freude mit. Sie hatte ihm also gestern Abend verziehen. Aber das Lächeln, mit dem sie ihn begrüßt hatte, erstarb langsam auf ihrem Gesicht, als sie seinen Gesichtsausdruck sah. „Sebastian, ist alles in Ordnung?“
    „Ich sollte mich entschuldigen“, platzte er heraus. „Der Himmel weiß, das sollte ich. Ich hätte niemals so mit dir reden dürfen, und ganz bestimmt nicht in der Öffentlichkeit.“
    Sie winkte ab. „Ich hätte es besser wissen müssen. Ich hätte bedenken sollen, unter welcher Anspannung du stehst. Ehrlich, Sebastian, nach allem, was wir für einander getan haben, fallen ein paar harte Worte kaum ins Gewicht. Aber da war etwas, was ich dir unbedingt sagen muss.“ Sie zog die Stirn in Falten und klopfte sich mit dem Finger auf die Lippen. „Lass mich mal überlegen …“
    „Violet. Lass dich nicht ablenken. Hör mir zu.“
    Sie wandte sich zu ihm um.
    Niemand sonst hielt Violet für hübsch, aber er hatte das nie verstanden. Ja, ihre Nase war zu groß. Ihr Mund war zu breit, ihre Augen lagen ein winziges bisschen zu weit auseinander, um den Maßgaben klassischer Schönheit zu genügen. Er konnte diese Dinge sehen, aber irgendwie waren sie nie von Bedeutung gewesen. Von allen Menschen auf der Welt stand ihm Violet am nächsten, und das machte sie ihm auf eine Weise lieb und teuer, die er jetzt lieber nicht näher bedenken wollte. Sie war seine liebste Freundin, und er stand kurz davor, sie in Stücke zu reißen.
    „Stimmt etwas nicht?“, fragte sie vorsichtig. „Oder eher …“ Sie räusperte sich. „Ich weiß, dass etwas nicht stimmt. Wie können wir das Ordnung bringen?“
    Er spreizte die Hände, als ergäbe er sich der ganzen Welt. „Violet, ich kann das nicht mehr weitermachen. Ich bin es leid, als Hochstapler zu leben.“
    Ihr Gesicht wurde ausdruckslos. Sie streckte blindlings die Hand aus, nahm ihr Vergrößerungsglas und presste es an ihre Brust.
    Sebastian schmerzte das Herz. „Violet.“
    Es gab niemanden, den er besser kannte, niemanden, der ihm wichtiger war. Ihre Haut war aschfahl geworden. Sie saß da, schaute ihn an, mit völlig ausdrucksloser Miene. Er hatte sie schon einmal so gesehen. Er hatte nie gedacht, dass ausgerechnet er es sein würde, der dafür verantwortlich wäre.
    „Violet, du weiß, dass ich alles für dich tun würde.“
    Sie machte einen seltsamen Laut in der Kehle, halb Schluchzen, halb Würgen.

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