Die Erbin und ihr geliebter Verraeter
Erlaubnis zu fragen.“
Er – wer auch immer er war – hatte während dieser ganzen Unterhaltung kein Wort gesagt, als sei er es nicht gewohnt, um seine Meinung gefragt zu werden. Dass man über ihn sprach, als sei er gar nicht anwesend. Er betrachtete Emily einfach mit seinen dunklen, wachsamen Augen.
„Hmm“, machte die Frau. „Nun, bislang hat er sich still verhalten, aber man weiß ja nie.“
„Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir Tee zu bringen?“ Emily schenkte ihr ein Lächeln. „Ich könnte die Stärkung gebrauchen.“
„Natürlich, meine Liebe. Und er belästigt Sie wirklich nicht?“
Emily schüttelte den Kopf, und die Wirtin ging.
Der Mann ihr gegenüber schwieg eine Weile. Schließlich sagte er: „Danke, dass Sie mich nicht haben hinauswerfen lassen. Es ist die einzige Wirtschaft im Umkreis von vier Meilen von Cambridge, in der man Gemüsesuppe erhält. Ich bin Brot, Käse und gekochte Spinatblätter leid.“
„Studieren Sie in Cambridge?“
Das Buch vor ihm ließ daran wenig Zweifel.
Sie hätte eigentlich gedacht, die Gasthäuser in Cambridge hätten Aufwendigeres zu bieten als Spinat. Schließlich gingen jede Menge Adelssprösslinge dorthin. Aber er erklärte es nicht weiter, und sie störte ihn sicher bereits.
„In ein paar Minuten werde ich wieder stehen können“, versicherte sie ihm. „Dann verschwinde ich so rasch, wie ich gekommen bin.“
„Meinetwegen brauchen Sie sich nicht zu beeilen“, antwortete er höflich. Er schaute auf sein Buch, dann wieder zu ihr. In seiner Stimme klang noch ein gewisser Argwohn mit – aber auch etwas anderes.
„Das ist mein Ernst“, sagte Emily aufrichtig. „Es tut mir so leid, Sie gestört zu haben. Sie waren zuerst hier, daher …“
Seine Lippen verzogen sich zu einem halben Lächeln, und der letzte Anflug von Argwohn verschwand. „Ich bekomme selten die Gelegenheit, mit hübschen Mädchen am Tisch zu sitzen“, erklärte er. „Ich fühle mich nicht gestört.“
Ihr Herz klopfte immer noch schneller. Von dem Anfall. Ganz eindeutig von dem Anfall. Es konnte nicht daran liegen, dass dieser Mann sie angesehen hatte. Aber er gab ihr das Gefühl, hübsch zu sein.
Sie war hübsch. Emily hatte das immer gewusst, auch wenn es ihr überhaupt nichts nützte. Die Diener sagten es. Titus sagte es. Die Ärzte sagten es. Eine Schande, dass das einem so hübschen Mädchen passieren muss. Solch eine Verschwendung, all diese Schönheit .
Unter der höflichen, aber nicht zu übersehenden Musterung ihres Gegenübers schien ihr ihr Aussehen im Moment allerdings gar nicht so schrecklich verschwendet.
„Ich heiße Emily Fairfield“, eröffnete sie ihm schließlich.
Er blickte sie ein paar Augenblicke länger an. „Es ist mir ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss Fairfield“, entgegnete er. „Ich bin Mr. Anjan Bhattacharya.“ Als er seinen Namen nannte, wandelte sich seine präzise Aussprache in etwas anderes, was nicht länger Englisch war.
Emily biss sich auf die Lippe. „Warten Sie.“
Seine Miene wurde ausdruckslos.
„Es tut mir leid. Bhatta. Charya?“ Sie spürte, wie sie rot wurde.
Er lehnte sich zurück und schaute sie an. „Ja. Das ist gar nicht so schlecht.“
„Bhatta. Charya. Bhattacharya.“ Sie lächelte. „Nein, eigentlich ist es sogar wirklich leicht. Ich bin nur nicht daran gewöhnt, solche Namen zu hören. Sie sind aus …?“
„Indien, natürlich. Kalkutta, um genau zu sein. Mein Vater ist Beamter in der Präsidentschaft Bengalen. Mein Onkel ist … Aber das tut nichts zur Sache. Ich bin der vierte Sohn, nach England geschickt, damit ich eine echte gründliche englische Ausbildung erhalte.“ Er setzte sich anders hin, blickte wieder auf sein Buch.
„Und Sie studieren Jura?“
Er hob die Brauen.
„Mein Onkel ist Tutor für Jura“, erklärte Emily. „Wenn mir nichts anderes übrig bleibt, lese ich seine Bücher. Das da habe ich bereits durch.“
Er lächelte sie an. „Dann werde ich Sie fragen, falls mir etwas unklar ist.“
„Das können Sie versuchen“, antwortete sie. „Ich verstehe ein wenig, aber ich habe keine richtige Ausbildung darin. Dennoch würde ich mich über die Gelegenheit zu reden …“ Oh, wie armselig sie klang. Sie schluckte den Rest ihres Satzes hinunter. „Aber ich bin sicher, Sie haben andere Leute, mit denen Sie lieber reden möchten. Sind Sie schon weit mit Ihren Studien?“
„Ich schließe dieses Jahr ab.“ Er verzog das Gesicht. „Ich studiere für den
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