Die Erbin und ihr geliebter Verraeter
Jura-Tripos. Zwischen jetzt und Ostern werde ich vermutlich keine gute Gesellschaft sein.“ Ein seltsamer Ausdruck huschte über sein Gesicht. „Ich habe vor, einen guten Abschluss zu machen.“
Emily erkannte es, wenn man ihr zu verstehen gab zu schweigen, daher tat sie das. Ihr Tee kam, und sie trank ihn langsam, versuchte, ihn nicht dabei zu beobachten, wie er las und sich Notizen in einem kleinen Buch machte. Darin war sie nicht sonderlich erfolgreich. Ihre Haut prickelte, wenn sie ihn nur anschaute.
„Nun, Mr. Bhattacharya“, sagte sie schließlich, als sie nicht länger ihren Tee als Vorwand nehmen konnte, um zu bleiben, „es war reizend, Sie kennenzulernen. Ich nehme an, ich sollte jetzt gehen. Ich überlasse Sie wieder Ihrer Lektüre.“
Er schaute von seinem Buch auf. Er blinzelte sie ein paarmal an, als hätte sie ihn überrascht. Und dann – wie schockierend – lächelte er. Nicht dieses freundliche Lächeln, das er ihr zuvor geschenkt hatte. Das hier war es, worauf sie gewartet hatte. Sein Lächeln war wie ein Sonnenaufgang, und es glitt ehrlich und leicht über sein Gesicht. Ihr Puls beschleunigte sich in Vorfreude. Worauf, das wusste sie selbst nicht, aber sie spürte, sie befand sich am Anfang von etwas .
„Miss Fairfield“, sagte er.
„Miss Emily“, verbesserte sie ihn. „Ich habe eine ältere Schwester.“
„Ich glaube“, fuhr er fort, „dass die Ritterlichkeit es verlangt, Ihnen anzubieten, Sie nach Hause zu geleiten, um sicherzustellen, dass Ihnen kein Leid zustößt.“
„Oh?“ Die Idee gefiel ihr. Sie versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie ihr gefiel.
Es könnte etwas passieren, flüsterte die Stimme.
„Ich glaube nicht, dass ich mehr als hundert Schritte mit Ihnen gehen könnte“, erklärte er schlicht. „In Cambridge vielleicht. Aber hier?“ Er schüttelte den Kopf. „Ich verspüre nicht den Wunsch, heute verprügelt zu werden, daher muss ich auf jegliche Ritterlichkeit verzichten und Ihnen einen guten Tag wünschen.“
„Diesen Donnerstag gehe ich um ein Uhr wieder spazieren“, antwortete Emily. „Und … ich halte mich nur ungern inmitten vieler Menschen auf.“
Sein Lächeln hatte nicht nachgelassen. Es zog sie zu ihm hin. „Oh?“
„Es gibt einen Spazierweg entlang des Bin Brook, wo der Bachlauf die Wimpole Road kreuzt.“
„Ich weiß“, sagte er leise. „Aber Ihre Eltern werden gewiss Einwände haben.“
„Meine Eltern sind tot“, erwiderte Emily. „Ich lebe bei meinem Onkel.“ Sie machte eine Pause, sah seinen Gesichtsausdruck. Wenn sie ihm die Wahrheit sagte, würde er sich nie mit ihr treffen. „Hier bin ich“, verkündete sie leichthin, „ganz allein unterwegs ohne Anstandsdame. Mein Onkel gibt nicht viel auf Konventionen, Mr. Bhattacharya. Er überlässt mich viel mir selbst. Solange wir auf öffentlichen Wegen bleiben, hat er keine Einwände.“
Das stimmte alles, aber vermittelte doch nicht die Wahrheit.
„Aber …“
„Ich habe Anfälle“, teilte sie ihm mit. „Mein Onkel weiß, dass ich geradezu ausgehungert bin nach anspruchsvollen Gesprächen.“
Das stimmte auch.
Emily schenkte ihm ihr strahlendstes Lächeln und bemerkte dankbar, wie er seine Hände gegen den Tisch drückte, trotz seiner Vorbehalte geblendet.
Nach all ihren Andeutungen konnte eine Lüge nicht viel mehr Schaden anrichten. „Er wird nichts gegen einen kleinen Spaziergang haben“, erklärte sie. „Und es ist vollkommen unverfänglich, wenn ein Mann und eine Frau spazieren gehen, solange sie in der Öffentlichkeit bleiben.“
„Ach ja?“
Emily nickte und hielt den Atem an.
„Gut.“ Er sprach das kurze Wort langsam, als müsse er noch nachdenken. „Ich denke ja. Diesen Donnerstag.“
Sie lächelte und stand auf. Ihr Bein schmerzte, ihre Muskeln waren wund – aber ihre Handflächen prickelten vor Aufregung, und plötzlich schienen ihr die nächsten paar Tage nicht mehr so schlimm. „Bis dann.“
Es könnte etwas passieren.
Sie dachte an ihr leeres Zimmer, an Nachmittage voller verordneter Schlafpausen und Abende mit der herablassenden Fürsorge ihres Onkels. Sie dachte daran, wie sie sich dabei gefühlt hatte, als sie heute aus ihrem Zimmer geschlüpft war – als stünde sie kurz davor, laut zu schreien und dabei sicher, dass sie wenn sie dem Drang nachgab und tatsächlich schrie, ihr Onkel glauben würde, sie sei verrückt geworden. Das hier war vielleicht dumm gewesen. Es mochte auch falsch gewesen sein.
Aber, dem Himmel
Weitere Kostenlose Bücher