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Die Erbin und ihr geliebter Verraeter

Die Erbin und ihr geliebter Verraeter

Titel: Die Erbin und ihr geliebter Verraeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Courtney Milan
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sei Dank, endlich, endlich, passierte etwas.

    S EIT J ANES LETZTEM Gespräch mit Mr. Marshall waren drei Tage vergangen, und in dieser Zeit hatte sie sich hundert Mal vorgestellt, dass sie ihm alles erzählte. Letzte Nacht hatte sie kaum geschlafen, hatte nur daran gedacht, was sie ihm sagen musste, wenn sie ihn das nächste Mal sah. Wie es wäre, jemanden zu haben, der sie verstand, der es wusste.
    Sie hatte eine Liste mit den Dingen, die sie sagen wollte – eine klare, präzise, vernünftige Liste. Sie würde nicht zulassen, dass die Worte wie ein Strom, der sich vom Damm befreit in sein altes Bett ergoss, aus ihrem Mund sprudeln würden. Er würde sie nicht für übergeschnappt halten.
    Dieser Täuschung gab sie sich bis zu dem Moment hin, in dem sie ihn wiedersah. Jane war gerade erst aus der Kutsche gestiegen und hatte sich umgedreht, um auf Mrs. Blickstall zu warten, die sich gleich hinter ihr befand. Während sie das tat, erhaschte sie einen Blick auf ihn auf der anderen Seite ihrer Pferde.
    Er ging auf dem Gehsteig in Richtung des Markts, der ein paar Straßen entfernt lag. Sein Schritt war entschlossen und schnell, seine Miene abwesend, als sei er in Gedanken bei etwas anderem als ihr. Er sah sie nicht und wurde nicht langsamer. Fünf Schritte und schon war er mehrere Meter entfernt.
    Sie hob die Hand ein Stück, um ihm zu winken, aber sein abwesender Gesichtsausdruck ließ sie innehalten.
    Er war der Sohn eines Herzogs. Ein Mann, der, wie er selbst zugab, eines Tages Premierminister werden wollte. Zweifellos beschäftigten ihn viel dringendere Probleme als die lächerlichen Fragen, die sie plagten: Geschichten von der Vormundschaft für ihre Schwester und ihre medizinische Behandlung. In der Zeit, die es brauchte, ihm die abgeschmackten Einzelheiten ihres Lebens mitzuteilen, konnte Mr. Marshall den gesamten Text eines jeden Gesetzesvorhabens durchgehen, das in der letzten Sitzung verabschiedet worden war.
    Sie krümmte die Finger und ließ die Hand sinken.
    Er war freundlich gewesen. Er war klug genug, eine Menge über sie zu erraten. Aber es wäre dumm zu glauben, dass diese beiden Tatsachen bedeuteten, dass ihm tatsächlich etwas an ihr lag. Er hatte Wichtigeres zu tun, als sich mit einer jungen Dame und ihrer Schwester zu befassen.
    Jane reckte das Kinn und ging über den Gehsteig zum Buchladen. Sie würde ihm nicht nachschauen, wie er die Straße entlangging. Sie würde ihre dummen Phantasien von Freundschaft nicht noch einmal durchleben.
    Der Laden war staubig und leer. Mrs. Blickstall nahm gelangweilt auf einem Stuhl vorne im Geschäft Platz und faltete sittsam die Hände, während Jane die Bände im hinteren Teil des Verkaufsraumes durchging. Sie hörte die Glocke läuten, das Murmeln der Stimme eines Kunden, der sich mit dem Ladenbesitzer unterhielt. Sie nahm ein Buch aus dem Regal und schlenderte den Gang entlang, las dabei die Buchtitel. Sie hörte Schritte hinter sich.
    Sogleich musste sie an den Mann denken, den zu vergessen sie sich befohlen hatte. Mr. Marshall. Er war es.
    Nein, wie lächerlich. Er war es bestimmt nicht. Er war auf dem Weg zu einem sehr wichtigen Treffen. Er hatte keine Zeit für dumme kleine Mädchen in kleinen Läden, die …
    „Was haben Sie da?“
    Sie zuckte zusammen.
    Himmel, seine Stimme. Sie hatte sich seine Stimme nicht zutreffend vorgestellt, wenn sie sich ausgemalt hatte, mit ihm zu sprechen. Sie hätte nicht gewusst, wie sie sie einem anderen beschreiben sollte. Warm natürlich. Wohlklingend. Letzte Nacht heiser vor mühsam beherrschter Wut, aber jetzt hörte es sich an, als wäre er kurz davor zu lachen.
    Sie drehte sich ganz langsam um. Oje, der Schauer war wieder da, knisternde Elektrizität, die ihr das Rückgrat hinablief. Sie schnappte nach Luft und grub sich die Fingernägel in den Handballen, aber es half nichts. Ehe sie es verhindern konnte, lächelte sie – ein überbreites, leicht dümmliches Lächeln, das viel zu viel verriet.
    Er besaß ein Aussehen, das mit wachsender Vertrautheit attraktiver wurde. Die leichten Sommersprossen auf seinem Nasenrücken luden ein, sie zu berühren. Als flüsterte er ihr zu: „Komm, mach es dir bequem.“
    Sie schluckte und presste sich eine Hand auf den Magen, damit sie genau das nicht tat.
    Er sah … nun, er sah . Er sah sie an, nicht irgendeinen weit entfernt liegenden Punkt. Nachdem seine Aufmerksamkeit allein ihr galt, fühlte sich ihr ganzes Wesen leicht an. Als könnte sie einfach davonschweben.
    Er hatte

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