Die Erbin und ihr geliebter Verraeter
ist durchaus wahrscheinlich, dass dein Ziel noch Jahre entfernt ist.“
„Darum arbeite ich ja so hart daran“, teilte er ihr mit. „Je mehr ich mich jetzt anstrenge, desto eher wird es geschehen. Wissen vergeht nicht. Griechisch gibt es immer noch, wenn ich hiermit fertig bin.“
Ihre Augen blitzten. „Oliver, wenn ich Griechisch erst in zwei Jahren lerne, wird es zu spät sein.“
„Zu spät wofür? Zu spät, weil du dann verheiratet sein wirst?“
Aber sie schüttelte den Kopf. „Zu spät für mich, um nach Cambridge zu gehen.“
Er blieb jäh stehen und schaute sie an. Er spürte, wie ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief. Er war nicht sicher, weshalb. Er wollte sie fassen, in seine Arme ziehen und in Sicherheit halten. Er war sich noch nicht einmal sicher wovor. Vielleicht vor sich selbst.
„Frauen dürfen nicht in Cambridge studieren“, erklärte er schließlich.
„Bekommst du eigentlich gar nichts mit?“, verlangte sie zu wissen. „Nicht jetzt, nein. Und es gibt auch keine Pläne, die Universität selbst zu öffnen. Aber es gibt eine Gruppe von Leuten, die darüber reden, in der Ortschaft Girton eine Hochschule für Frauen zu eröffnen. Jetzt bin ich noch nicht alt genug, Oliver, aber wenn ich es bin …“
Himmel. Sie wollte nach Cambridge. Er holte tief Luft und starrte sie an, aber es half nichts. Sein Schädel schien zu brummen, hallte von einem Geräusch wider, das sich immer wieder wiederholte.
Nun, flüsterte eine pragmatische Stimme in ihm, es hätte schlimmer kommen können. Sie könnte nach Eton gehen wollen.
Er weigerte sich, sich Free in Eton vorzustellen.
Stattdessen machte er ein, zwei Schritt vor und nahm ihre Hand. Sie war kleiner als er – nicht so viel, dass er sonderlich darüber nachdachte, aber seine frühesten Erinnerungen an sie waren die von Verletzlichkeit. Dass er auf sie aufpasste. Sie hochhob und in seinen Armen im Kreis schwenkte, während sie vor Entzücken quietschte und er darauf achtete, dass sie sich nicht wehtat.
„Du denkst, dass alles, was du brauchst, um nach Cambridge zu gehen, ein bisschen Griechisch ist?“
Sie starrte ihn an, ihr Blick klar und herausfordernd.
„Hast du irgendeine Vorstellung davon, was du dir da vorgenommen hast? Als ich nach Cambridge kam, wurde ich auf Schritt und Tritt mit Beleidigungen überhäuft, sowohl verdeckten als auch offenen. Es gab keinen Tag, an dem mir nicht irgendjemand gesagt hätte, dass ich nicht dorthin gehörte. Auch du wirst mit all diesen Schwierigkeiten zu kämpfen haben – nur dass ich einen Bruder und Sebastian hatte. Du wirst allein sein. Und du bist eine Frau, Free. Alle werden gegen dich sein. Bei dir werden sie sich doppelt so sehr wünschen, dass du scheiterst. Erstens, weil du ein Niemand bist, und zweitens, weil du eine Frau bist.“
Sie schüttelte den Kopf. „Dann werde ich eben dreimal mehr Erfolg haben müssen, als sie sich wünschen, dass ich scheitere. Du solltest das doch von allen Menschen am besten verstehen.“
„Ich liebe dich“, sagte er. „Das ist alles. Ich liebe dich und will nicht, dass du leidest. Und was mich angeht … Cambridge war nur der Anfang. Es war eine Handvoll Vorlesungen und Examen, Professoren und Arbeiten, und danach die Kameradschaft von Freunden, mit denen man zusammen die Schule besucht hatte. Und die Feinde.“ Er schaute sie an.
Sie hob trotzig das Kinn.
„So wird es nicht für dich sein. Nach Cambridge wird nicht einfach etwas sein, was du tust, gefolgt von noch etwas, was du tust, und so weiter. Nach Cambridge zu gehen wird bestimmen, wer du den Rest deines Lebens sein wirst. Danach wirst du das Mädchen sein, das nach Cambridge gegangen ist.“
„Aber irgendjemand muss doch das Mädchen sein, das gegangen ist“, wandte sie ein. „Warum sollte nicht ich das sein? Und mach dir keine Sorgen. Ich habe nicht vor, dass ein Universitätsabschluss die letzte schlimme Sache in meinem Leben sein wird, die ich tue. Ich möchte lieber das Mädchen sein, das es tut, als das, das es nicht getan hat.“ Sie rümpfte die Nase und schaute weg. „Und ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet du versuchen würdest, es mir auszureden, Oliver. Von allen Menschen, denen ich zugetraut hätte, dass sie mich scheitern sehen wollen …“
„Ich will nicht, dass du scheiterst“, unterbrach er sie barsch. „Wenn du nach Cambridge gehst, will ich, dass du Erfolg hast. Ich will, dass du dich gegen alle Schwierigkeiten behauptest. Ich wünschte nur, es
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