Die Erbin und ihr geliebter Verraeter
aber der springende Punkt.“ Bradenton schüttelte betrübt den Kopf. „Sie ist empfindlich. Sehr empfindlich. Wir dürfen uns nicht zu dicht darum drängen, sonst geht sie am Ende ein.“
Was sollte das heißen? Worauf wollte der Mann hinaus?
„Ich schlage vor, wir gehen gemeinsam zu den Gewächshäusern“, sagte Bradenton, „und ich gehe mit Miss Fairfield hinein. Sie werden Sie durch die Glasscheiben sehen können – jegliche Verletzung des Anstands ausgeschlossen –, und in ein paar Minuten sind wir fertig.“
Es gab eine Pause – eine längere, zögernde Pause. Wenn Genevieve es auf Bradenton abgesehen hätte, würde sie jetzt vermutlich vor Eifersucht Mordgedanken hegen. Aber falls sie tatsächlich derartige Absichten hatte, ließ sie sich nichts anmerken. Nach einem Augenblick nickten die Zwillinge einfach.
„Aber natürlich, Mylord“, sagte Genevieve.
Das Wort „Gewächshaus“ ließ einen an ein einzelnes Glashaus denken, aber bei den Gewächshäusern hier handelte es sich um einen ganzen Komplex verglaster Gebäude, die dornengleich von einem zentralen Gang abzweigten. Die etwa hüfthohen Mauern waren aus schweren Steinen errichtet und mit grauem Mörtel verputzt. Oberhalb davon bestanden die Wände und Decken aus Glasscheiben. An manchen waren die Fenster ein paar Zoll weit geöffnet. Jane konnte den warmen Luftstrom auf ihrem Gesicht spüren, als sie an einem vorbei kamen. Bradenton ging über einen Seitengang und öffnete eine Tür.
„Es wird nicht lange dauern, meine Damen“, sagte er zu den Zwillingen, ehe er Jane hineinbat.
Sie war schon vorher in den Gewächshäusern gewesen. Vor ihr erstreckte sich ein Hauptgang, der zu beiden Seiten von abgetrennten Räumen gesäumt war, jeder mit seiner eigenen Luftfeuchtigkeit und Temperatur. Im Korridor dazwischen war es schwül, und Dschungelranken gediehen entlang der Wände.
Die Arten hier waren sowohl in Latein als auch in Englisch beschriftet, und manchmal auch mit Zahlen und Buchstaben, die Jane rein gar nichts sagten. Irgendein Botaniker der Universität musste sie untersuchen, überlegte Jane. Aus den Stahlrohren drang leises Gluckern, vom heißen Wasser, das hindurchrann, um Wärme abzustrahlen. Jane war für die Kälte draußen gekleidet, und plötzlich schwitzte sie.
Geraldine wäre nie auf die Idee gekommen, etwas so Unfeines zu tun, wie zu schwitzen .
Bradenton hielt ihr lächelnd die Tür zu einem Raum voller Tontöpfe mit Sand auf. Jane erwiderte das Lächeln nicht. Das hier war der Mann, der sie kränken wollte. Bloßstellen. Der bereit war, seine Stimme bei einer Abstimmung im Parlament dafür zu versprechen.
„Nun, Mylord“, fragte Jane, „wo befindet sich denn diese außerordentlich seltene Pflanze?“
Er betrachtete sie nachdenklich. „Ich kann Sie überhaupt nicht einschätzen.“
„Aber warum denn nicht?“ Jane wirbelte herum, schaute auf die Pflanzen in dem Raum. „Sie und ich sind uns so ähnlich.“ Es war trocken und heiß. Ein großes rechteckiges Pflanzgefäß links von ihr enthielt Steine und Sand und eine Reihe unförmig schnörkeliger grüner Dinge. Sie wären vom Unterholz sogleich verschlungen worden, wenn sie es gewagt hätten, in dem Wald von Cambridge zu wachsen.
„Ähnlich?“
„Aber natürlich.“ Jane weigerte sich, ihn anzusehen. „Wir sind einfach Menschen. Wir gehören zu denen, für die sich unter anderen Umständen niemand interessieren würde. Ich erhalte Aufmerksamkeit wegen meines Vermögens und Sie wegen Ihres Titels.“
Er gab ein ungläubiges Geräusch von sich. „Ist das der Grund, warum Sie mich abgewiesen haben? Weil Sie denken, Sie seien mir ebenbürtig?“ In seiner Stimme schwang ein hässlicher Unterton mit.
Ihr Herz klopfte schneller. Sie war ihm gegenüber abweisend gewesen, weil sie das bei allen tat. Aber vielleicht hatte sie sich bei ihm besondere Mühe gegeben. Andere hatten über sie geredet und gelacht, aber nach diesen ersten paar Wochen hatte er die anderen dazu angestiftet. Und hatte versucht, so zu tun, als sei dem nicht so.
„Sie abgewiesen?“, sagte sie mit einem Lachen. „Wie hätte ich Sie abweisen können? Sie haben mir nie irgendein Angebot gemacht, das ich hätte ablehnen können.“
Er murmelte etwas Unverständliches, gefolgt von: „Egal.“
„Ich kann mir auch nicht vorstellen, warum Sie das tun sollten“, fuhr Jane fort. „Sie sind ein Marquis. Sie brauchen doch gar nicht mein …“ Sie brach ab, als sei ihr gerade etwas
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