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Die Erbin und ihr geliebter Verraeter

Die Erbin und ihr geliebter Verraeter

Titel: Die Erbin und ihr geliebter Verraeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Courtney Milan
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war.
    „Ich habe ihn gekannt“, hatte die Haushälterin gesagt. „Ich war seinerzeit nur erstes Hausmädchen, aber wir haben uns alle darum gezankt, wer ihm den Tee bringen musste. Keine wollte die Aufgabe übernehmen, weil er so Furcht einflößend war.“
    Furcht einflößend. Er hatte seinen Vater ein paarmal in seinem Leben wütend gesehen, und er nahm an, dass er in der Tat Furcht einflößend war. Aber er hatte begriffen, dass sie mehr als das meinte. Sein Vater war überaus intelligent und duldete kein törichtes Benehmen.
    Die Haushälterin hatte geseufzt.
    „Er war ein Mann, von dem wir alle dachten, er werde binnen zwanzig Jahren in ganz London das Sagen haben. Manchmal trifft man einen Mann und weiß das einfach. Man weiß, er wird es mal zu etwas bringen.“ Sie seufzte wehmütig und rückte ihre Haube gerade. „Das haben wir damals immer gesagt. Wir wusste es. Es war dieses Gefühl, das man hatte, wenn man ihn sah. Und dann wurde nichts daraus.“
    Dann wurde nichts daraus.
    Oliver schaute zu seinem Vater. Hugo hatte seine Angelschnur in das tiefe Wasser am Rand des breiten Baches geworfen und saß schweigend da, schien nichts von ihm zu erwarten. Wartete einfach ab, ob Oliver sprechen wollte, nahm an, dass alles, was gesagt werden musste, ausgesprochen werden würde.
    Es war nicht wirklich nichts daraus geworden. All diese Energie war hierauf verwendet worden – Angelausflüge mit einem Jungen, der nicht wirklich sein Sohn war, Geld zu verdienen, um es umgehend in seine Kinder zu stecken.
    Jeder erwirtschaftete Überschuss, war in die Familie geflossen – um Laura und ihrem Gatten zu helfen, in der Stadt ein Kurzwarengeschäft aufzubauen, Olivers Studium zu zahlen, Patricia ihren Stenografie-Unterricht zu ermöglichen und dann, als sie Reuven geheiratet hatte, ihnen genug zu geben, um sich in Manchester eine Existenz aufzubauen.
    Dann wurde nichts daraus.
    Nein, es würde mitnichten nichts daraus geworden sein. Oliver würde dafür sorgen, dass das Opfer seines Vaters nicht umsonst gewesen war. Er würde dafür sorgen, dass es alles bedeutete.
    „Ändert es etwas“, fragte Oliver, „wenn ich es wirklich sehr dringend haben will?“
    „Was ist es denn, was du willst?“, erkundigte sich sein Vater.
    Ich möchte, dass du stolz auf mich bist. Ich will all das tun, wovon du geträumt hast, und es dir zu Füßen legen.
    Oliver streckte die Hand aus und zog einen Stock aus der Erde, rollte ihn zwischen den Fingern. Es gab auch noch hässlichere Wünsche, welche, die ihm ein unangenehmes Gefühl bereiteten.
    Ich möchte, dass sie dafür zahlen.
    Stattdessen zuckte er die Achseln. „Warum hast du es getan? Alles aufgegeben, um den Sohn eines anderen Mannes aufzuziehen?“
    Bei dieser Frage schaute sein Vater ihn an. „Ich habe nicht den Sohn eines anderen aufgezogen“, erwiderte er scharf. „Ich habe meinen Sohn aufgezogen.“
    „Du weißt, was ich meine“, sagte Oliver. „Und das ist genau das, worüber ich spreche. Warum hast du mich angenommen? Warum hast du mich so behandelt, wie du es getan hast? Es muss doch unheimlich schwer für dich gewesen sein zu entscheiden, was du meinetwegen unternimmst. Ich weiß, du liebst Mutter, aber …“
    „Du warst ebenso sehr meine Rettung, wie deine Mutter es war“, unterbrach ihn sein Vater brüsk. „Du warst nie eine Last für mich, die zu tragen, ich erst noch lernen musste. Es war im Grunde ganz einfach. Wenn ich dich zu meinem Sohn machen konnte, Blutsbanden und der Biologie zum Trotz, würde das auch heißen, dass ich nicht sein war.“
    „Wessen?“, fragte Oliver verwirrt.
    „Meines eigenen Vaters. Wenn du mein wärest, wäre ich nicht sein.“
    Oliver lehnte sich zurück und beobachtete die Strömung des Baches. Er wusste – sehr vage – dass der Vater seines Vaters kein guter Mensch gewesen war. Sein Vater hatte in all den Jahren immer mal wieder die eine oder andere knappe Bemerkungen fallen lassen, aber er sprach wenig darüber.
    „Dich zu meinem Sohn zu machen, hieß auch, ich selbst zu sein“, sagte sein Vater. „So einfach war das.“
    Oliver schloss die Augen.
    „Also, was ist es, was du unbedingt haben willst?“
    „Ich möchte jemand sein“, erwiderte Oliver mit lautloser Stimme. „Jemand, der … wichtig ist. Der Dinge bewirken kann. Jemand mit Macht.“ Jemand, der nie wieder herumgeschubst wurde. Bradenton hatte recht. Er hatte Macht, während Oliver Wünsche hatte. Das war eine Schieflage, die danach rief,

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