Die Erbin und ihr geliebter Verraeter
worden wäre.
Jane sollte eine Bemerkung über seine Stellung machen, etwas, das ihr Interesse mindern würde, aber sie konnte sich nicht dazu überwinden.
„Er ist der Bruder eines Herzogs“, erklärte sie schließlich. „Das stellt ihn doch sicherlich auf dieselbe Stufe wie einen Marquis.“
Die Schwestern wechselten wieder einen langen Blick.
„Nein“, sagte Genevieve schließlich. „Sie könnten an den Bruder eines Herzogs denken, aber ich glaube nicht, dass Sie einen Marquis in Erwägung ziehen sollten.“
An ihrem Verhalten war etwas nicht ganz stimmig, und das passierte den beiden fast nie. Genevieve presste die Lippen zusammen, Geraldine wirkte ernst. Jane brauchte einen Moment, um zu verstehen. Natürlich. Sie kannten einen Marquis. Gütiger Himmel. Geraldine war mit dem Earl of Hapford verlobt, aber sein Onkel war ledig. Hatte Genevieve ein Auge auf Bradenton geworfen?
Sie wünschte ihr viel Glück mit ihm. Die Mädchen kamen aus einer hochangesehenen Familie – sie waren Cousinen eines Earls – und hatten jede eine stattliche Mitgift. Aber sie hegte schon länger den Verdacht, dass Bradenton mehr brauchte, als das, was gemeinhin als „stattliche Mitgift“ angesehen wurde.
„Unter keinen Umständen ein Marquis“, sagte Geraldine. Aber ihre Schwester nahm sie am Ellbogen und tippte sie an – das und eine Bewegung des Kopfes, nicht mehr, und Geraldine verstummte und wandte sich ab.
Denn dort in den Gärten, unter einem Sonnendach, das von einer Rankpflanze überwachsen war, die die meisten Blätter schon für den Winter abgeworfen hatte, stand der Marquis selbst.
Jane hatte Bradenton nie sonderlich gut leiden können, aber sie hätte nicht gedacht, dass er ihr besondere Abneigung entgegenbrachte. Er war viel zu sehr von sich selbst eingenommen, um sich in irgendeiner Weise um sie zu kümmern. Aber Mr. Marshall hatte ihr neulich Abend gesagt, dass der Marquis sie bloßgestellt und gekränkt sehen wollte.
Bloßgestellt.
Sie verspürte heißen Zorn bei dem Gedanken. Der Marquis beobachtete sie mit kalten, harten Augen. Am liebsten hätte sie ihn geohrfeigt, ihn wissen lassen, dass er ihr nichts anhaben konnte.
„Sollen wir ihn begrüßen?“, fragte Geraldine leise.
„Nein, nicht nötig“, flüsterte Jane zurück. „Er sieht beschäftigt aus. Wir wollen ihn nicht mit unserer Impertinenz verärgern.“
„Allerdings“, stimmte ihr Geraldine ein wenig zu eifrig zu. „Allerdings, Miss Fairfield.“
„Schließlich“, bemerkte Genevieve mit etwas zu hoher Stimme, „wäre es mir höchst unangenehm, wenn er mich anders als in Abendgarderobe sieht.“
„Und auch noch in der direkten Sonne. Oje, er wird jeden Makel meiner Haut sehen.“
Sie sprachen rasch miteinander, nickten die ganze Zeit. „Gut“, sagte Genevieve, „es ist beschlossen. Oh, verd… verflixt, er hat uns gesehen. Er kommt in unsere Richtung.“
„Jane“, fragte Genevieve drängend, „ist mein Puder fleckig? Sagen Sie es mir rasch!“
Jane spähte in das Gesicht der anderen. Wie gewohnt war es makellos. Sie sah noch nicht einmal aus, als hätte sie Puder aufgetragen.
„Nichts. Kein Grund zur Sorge“, beschied Jane ihr fröhlich. „Es ist nur hier ein wenig ungleichmäßig.“ Sie deutete auf die rechte Wange.
Genevieve zog rasch ein Taschentuch hervor, aber es war zu spät.
„Miss Johnson. Miss Genevieve”, begrüßte Bradenton sie. „Wie reizend, Sie zu treffen. Und Sie natürlich auch, Miss Fairfield.“
Wenn Jane mit einem Taschentuch in der Hand dagestanden wäre, hätte sie gewiss irgendetwas Furchtbares damit getan – es zum Beispiel fallen lassen oder es in eine Tasche gesteckt, sodass sich dort eine hässliche Ausbuchtung bildete.
Genevieve lächelte einfach und behandelte das Stofftuch, als sei es ein Blumenstrauß und damit völlig normal, es in der Hand zu halten. Sie benutzte es sogar, um ihrem perfekt ausgeführten Knicks mehr Eleganz zu verleihen.
„Mylord“, sagte sie gleichzeitig mit ihrer Schwester.
Jane beendete ihren leicht schiefen Knicks ein wenig später. „Bradenton.“
Der Marquis warf Jane angesichts der vertraulichen Ansprache einen verärgerten Blick zu. „Wie es sich zufällig ergibt, meine Damen“, erklärte er, „gibt es eine neue Pflanze in einem der Gewächshäuser. Mir kam der Gedanke, sie Ihnen zu zeigen, Miss Fairfield.“
Die beiden Damen blickten sich an. „Natürlich“, sagte Geraldine. „Wir würden sie liebend gerne sehen.“
„Ah, das ist
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