Die Erbin und ihr geliebter Verraeter
zulassen.“
„Es liegt nicht in deiner Macht, es zuzulassen oder nicht zuzulassen. Das ist es, was Titus sagen würde.“ Ihre Schwester hob den Blick. „Rate mir nicht, zu Hause zu bleiben, weil mir sonst etwas passieren könnte.“
„Das werde ich nicht. Versprochen.“
Emily drückte ihre Hand. „Dann behältst du dein Nichts, und ich meines.“
E S WAR DAS dritte Mal, dass Emily sich aus ihrem Zimmer und dem Haus gestohlen hatte, um sich mit Mr. Bhattacharya zu treffen.
Wenn ihr Onkel wüsste, was vor sich ging, würde er selbst einen Anfall bekommen. Er hätte ihr eine Gardinenpredigt nach der anderen gehalten, ihr erklärt, wie unschuldig sie sei, wie jung und lieb. Wie wenig man Männern trauen durfte.
Aber Mr. Bhattacharya hatte sich für Emilys Geschmack als viel zu vertrauenswürdig erwiesen. Er lächelte sie an. Er nahm ihren Arm, wenn sie an einen Weg kamen, der schmal war, aber er ließ sie immer gleich los, sobald es wieder sicher für sie war. Er sah sie an – oh, er sah sie eindeutig an. Doch er hatte nichts Unstatthaftes getan. Rein gar nichts.
Heute war er ruhiger als sonst. Er war vollendet höflich gewesen, als er sie begrüßte. Und dann waren sie spazieren gegangen, immer weiter, an einem Bach entlang, dem Weg gefolgt, bis sie die Straße erreichten. Er hatte kein Wort gesagt. Nach ungefähr einer halben Stunde hatte er schließlich gesprochen.
„Es tut mir leid“, hatte er gesagt. „Ich bin heute nicht die beste Gesellschaft. Ich bereite mich auf die Prüfung vor und versuche, ein paar der vertrackteren Punkte des bürgerlichen Rechts zu verstehen. Es ist so kompliziert, dass mir der Kopf davon schmerzt.“
„Würden Sie gern darüber sprechen?“
Sie hatte wieder angefangen, Titus‘ Bücher zu lesen, einfach um zu sehen, wovon Mr. Bhattacharya redete. Ihr Onkel war leicht verwirrt gewesen, hatte aber schließlich eingeräumt, dass sie die Fallgeschichten interessant finden könnte, solange sie die juristischen Ausführungen überblätterte.
Mr. Bhattacharya tat nicht so, als könne sie der Argumentation nicht folgen, als überstiegen die Sachen, die er lernte, ihr Begriffsvermögen. Er sprach einfach mit ihr.
Letztes Mal hatte er eines der Bücher aus seiner Tasche gezogen, und sie hatten gemeinsam eine Passage gelesen, die Köpfe nebeneinander, so dicht, dass er seine Hand über ihre hätte legen können.
Er hatte es nicht getan.
Heute jedoch holte er kein Buch heraus. Er blickte stattdessen zum Himmel empor. „Es gibt da einen Fall“, bemerkte er schließlich, „in dem das Gericht zu dem Schluss gekommen ist, dass eine Erbschaft hinfällig ist, weil eine achtzigjährige Frau theoretisch ein Kind hätte bekommen können, nachdem das Testament aufgesetzt worden war.“ Er gab einen verärgerten Laut von sich.
Emily faltete die Hände und wartete, aber er sagte nichts weiter. Er starrte sie einfach an, als ob die jahrhundertealten Schwächen der englischen Rechtsprechung ihr angelastet werden könnten.
„Vielleicht“, sagte Emily schließlich, „könnte ich Ihnen besser helfen, wenn Sie mir genau erklärten, womit Sie Schwierigkeiten haben.“
„Ich …“ Er blickte sie an. „Wie kann es nicht offenkundig sein, womit ich Schwierigkeiten habe? Fangen wir doch mit der Tatsache an, dass eine Achtzigjährige keine Kinder mehr bekommt.“
„In der Bibel bekommt Sarah noch Kinder“, erwiderte Emily, „und sie war mindestens achtzig Jahre alt …“
„Die Bibel.“ Er schüttelte den Kopf. „Selbst wenn es erlaubt wäre, mit dieser Autorität juristisch zu argumentieren, verstünde ich es dennoch nicht. Die fragliche Regelung besagt, dass innerhalb von einundzwanzig Jahren nach dem Tod einer Person, die zu der Zeit, da das Testament aufgesetzt wurde, am Leben gewesen sein muss, geklärt werden muss, wer die Erbschaft antritt . Wenn wir nun die Bibel als Autorität heranziehen, müssen wir nur Jesus Christus als diese Person annehmen. Da er von den Toten auferstanden ist und ewig lebt …“
„Nein, nein“, widersprach Emily und versuchte, sich ein Lachen zu verkneifen. „Ich weiß nur wenig über Jura, aber ich bin mir sicher, dass Sie Jesus nicht als Beispiel nehmen können.“
„Warum nicht? Lebt Jesus nicht, nachdem er wiederauferstanden ist?“
„Sie werden es Gotteslästerung nennen, das ist der Grund.“
Er zuckte die Achseln, als mache er sich wegen eines Sakrilegs keine größeren Sorgen. „Nun gut. Lassen Sie uns sehen, ob ich verstehe,
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