Die Erbin und ihr geliebter Verraeter
die Wange. „Aber so viel“, erklärte er, „kann ich dir geben. Die Gewissheit, dass du nur ein Wort sagen musst, wenn du mich brauchst.“
„In den Tower of London, zu Händen Mr. Cromwell?“
Sie versuchte zu scherzen, aber ihre Stimme bebte.
„Zu Händen meines Bruders in London, dem Duke of Clermont.“ Er lehnte seinen Kopf gegen ihren. „Ich kann dir nichts anderes geben, Jane, aber ich kann dir das hier geben. Du bist nicht allein.“
Kapitel 15
I M E INGANG DES H AUSES schien ein Licht, und ein Lichtschimmer weiter unten auf dem Korridor markierte das Studierzimmer ihres Onkels. Bis auf das spärliche Licht wirkte das Haus kalt und leer. Und jetzt noch kälter und leerer, als es vor einem Monat gewesen war. Oliver hatte alles verändert, aber jetzt war er fort.
Sie hatte auf dem Heimweg in der Kutsche nachgezählt. Vierhundertfünfzig Tage verblieben.
Aber sie war jetzt stärker. Sie war mehr. Sie hatte die Erinnerung an einen Kuss, um ihr durch die schwerste Zeit zu helfen.
Jane reichte ihren Umhang einem gähnenden Lakai, läutete nach einem Hausmädchen, das ihr beim Auskleiden behilflich sein sollte, und begann die Treppe hochzusteigen. Sie war sie etwa zur Hälfte hinaufgegangen, als sie unten im Korridor Schritte hörte.
„Jane?“, rief eine Stimme.
Sie biss sich auf die Lippe und schaute himmelwärts. Das Letzte, was sie heute noch brauchte, war, mit Titus zu sprechen.
Aber sie hatte keine Wahl. Sie wartete, bemühte sich, ihre Ungeduld zu zähmen und hoffte, er würde nicht erkennen können, dass sie geweint hatte.
Er trat in den schwachen Lichtkreis der Lampe. „Ich muss mit dir sprechen.“ Er rieb sich mit der Hand den Kopf. „Komm bitte in mein Studierzimmer.“
Sie würde lieber in ihr eigenes Zimmer gehen. Sie wollte in ihr Bett, in eine Festung aus Decken, und sich darunter vergraben. Sie konnte die Welt ausschließen, bis sie Oliver Marshall vergessen hatte. Mit ihrem Onkel in sein Studierzimmer zu gehen klang im Vergleich schrecklich.
„Natürlich“, sagte sie pflichtschuldig.
Aber seine Augen funkelten, und er runzelte die Stirn. „Bitte keine deiner Frechheiten.“
Vielleicht hatte sie doch nicht so pflichtschuldig geklungen, wie sie es beabsichtigt hatte. Sie biss sich auf die Zunge und folgte ihm.
Er zog einen Stuhl für sie heraus, dann setzte er sich nachdenklich auf den lederbezogenen Sitz auf der anderen Seite des Holzschreibtisches. Er sah sie nicht an, eine ganze Weile nicht. Stattdessen trommelte er mit den Fingern auf die Tischplatte, als versuche er das Geräusch von Regentropfen nachzuahmen.
Schließlich seufzte er schwer.
„Das hier ist sehr wichtig“, sagte Onkel Titus. „Wie lange weißt du schon, dass deine Schwester tagsüber das Haus verlässt?“
Er erwischte sie unvorbereitet, sonst hätte sie überzeugender gelogen. Aber Jane war müde. Sie fühlte sich siegreich und gleichzeitig war ihr Herz gebrochen. Sie hatte triumphiert. Heute Nacht hatte sie gewonnen und verloren. All ihre Energie war darauf ausgerichtet gewesen, ihrem Onkel eine gleichmütige Miene zu zeigen. Und so hatte sie statt der Verwirrung, die sich zu jeder anderen Zeit auf ihre Züge gemalt hätte, einen Moment lang schuldbewusst die Wahrheit durchscheinen lassen.
Sie hatte es gewusst, aber nichts gesagt.
Titus hätte sie vermutlich ohnehin für verantwortlich gehalten, egal, wie es sich in Wahrheit verhielt. Aber bei ihrem schuldbewussten Gesichtsausdruck kniff er die Augen zusammen. Er schüttelte betrübt den Kopf. „Wie ich es mir dachte.“
Leugnen kam ihr in den Sinn – etwas wie: „Aber ich habe ihr gesagt, vorsichtig zu sein.“ Es gelang ihr, das nicht auszusprechen. Sie hatte keine Ahnung, was Titus wusste, und war nicht gewillt, ihre Schwester zu verraten.
„Ist ihr etwas geschehen?“, fragte sie. „Geht es ihr gut? Ist sie verletzt?“
Titus winkte ab. „Ihr Körper ist in einem so guten Zustand, wie man es sich nur erhoffen kann, das arme Kind. Aber sie war vollkommen uneinsichtig, als ich sie ertappt habe. Sie versuchte, mit mir zu reden …“ Er seufzte. „Mich zu überzeugen.“
„Aber sie hat recht. Es wäre doch gar kein Problem, wenn Sie nur …“
„Wenn ich ?“ Er schlug die Hände flach auf den Tisch und beugte sich vor. „Also willst du mir die Schuld geben? Du hast sie ermutigt, sich mir zu widersetzen. Du hast ihr vermutlich auch noch gezeigt, wie sie aus dem Haus kommen kann, hast ihr gesagt …“
„Sie ist nicht
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