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Die Erbin

Die Erbin

Titel: Die Erbin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und Okoschkin einsetzte.«
    »Stimmt ja, Lobow! Ha, ich werde alt! Dann brauche ich Ihnen also nichts mehr zu erzählen.«
    »Lyda tut mir leid«, sagte Lobow ehrlich.
    »Mir auch!« Pujatkin schnippte wieder mit den Fingern. »Aber mit Mitleid erringen Sie nicht die Führung in der Welt!«
    Sie trafen sich zweimal wöchentlich in kleinen Bistros oder verschwiegenen Lokalen am Montmartre, im Quartier Latin oder in St. Germain des Près, bummelten durch die Jardins, saßen mit anderen Verliebten unter den Seinebrücken in Nachbarschaft mit den Clochards, und niemand dachte nur im entferntesten daran, daß sich hinter der großen Sonnenbrille und den schwarzen Haaren die berühmte Lyda Penopoulos verbarg.
    Auch in der Pariser Zweigstelle der Reederei merkte niemand etwas. Onkel Kostas, der Direktor Portales, war trotz aller Wachsamkeit zu naiv, um noch an den Russen Lobow zu denken. Lyda tat ein übriges, um alle Spuren zu verwischen, und sie tat das einzig Überzeugende: Sie blies alle Verhandlungen mit den Sowjets ab. Nach Rücksprache mit dem Geliebten, der im Namen seiner Regierung auf die Schiffe der Penopoulos-Linie verzichtete, ordnete sie an: »Ich möchte nicht, daß noch mit den Russen verhandelt wird. Und wenn sie noch so günstige Angebote machen – mir ist das Geschäft zu kritisch! Solange sie nicht die Garantie übernehmen, daß mit meinen Schiffen keine Waffen in Krisengebiete transportiert werden, kann ich nicht zustimmen! Und wenn die Lage für uns noch so angespannt ist und die Schiffe auf Reede liegen: Ich verlange, daß alle von uns an die Russen vermieteten Schiffe von uns kontrolliert werden.«
    Okoschkin, der die Verhandlungen mit Portales weiterführte, schien bis ins Mark entrüstet, als man ihm diesen Antrag machte. »Was bilden Sie sich ein?!« raunzte er Portales an. »Die Sowjetunion soll sich von Griechen kontrollieren lassen? Eher lassen wir eine Million Schwimmer ins Wasser und tragen die Waren auf dem Buckel zu unseren Partnern! Unerhört! Ich darf die Besprechungen als gescheitert betrachten?«
    »Als hinausgezogen …«, sagte Portales vorsichtig. Als Grieche läßt man kein Geschäft gern davonlaufen.
    »Das ist für mich das gleiche!« bellte Okoschkin. »Herr! Sie haben die Sowjetunion brüskiert!«
    Er feuerte den Hörer auf die Gabel und grinste den neben ihm stehenden und über einen zweiten Apparat mithörenden Lobow an.
    »Na, war das gut, Genosse?«
    »Sehr gut. Portales wird bei dem Gedanken an uns immer noch einen trockenen Mund bekommen. An mich wird er sich in Kürze nicht mehr erinnern.«
    So war es.
    Lyda blieb unverhältnismäßig lange in Paris. Zwei Monate. Sie kaufte neue Kleider, besuchte dreimal wöchentlich Maxim's und speiste mit Freunden. Ihr Rolls-Royce parkte vor den berühmtesten Modehäusern und Magazinen, zu Galavorstellungen vor den großen Varietés und vor den intimen Theatern zu den Gastspielen bekannter Chansonniers.
    Portales freute sich und meldete es der Zentrale in Monte Carlo. Lyda begann den Tod ihres Vaters so zu überleben, wie man es gehofft hatte. Sie war die große Penopoulos, die Erbin, die nun die Zügel fest in die Hand nahm. Sogar mit der Witwe Nany einigte sie sich und kaufte ihr den Anteil an der Insel Sapharin ab. »Papa und Perikles gehören zu mir!« sagte sie zu Tante Andromeda. »Wenn sie Papa besuchen will, soll sie als Gast kommen, nicht als Besitzer!« Der alte Haß! Auch wenn er Millionen Dollar kostete: Sie pflegte ihn wie eine empfindliche Haut.
    Das war die offizielle Lyda.
    Was weder Portales noch der Chauffeur sahen: Durch Hintereingänge entwich sie, nahm, während der Chauffeur geduldig wartete, bis die gnädige Frau sich durch die neuen Modekollektionen gewühlt hatte, auf der Nebenstraße ein Taxi und eilte in die Arme ihres geliebten Boris Lobow.
    In Lobows kleiner, karger Wohnung liebten sie sich auch, lagen auf dem Bett, rauchten und tranken Wodka mit Orangensaft, während durch das geöffnete Fenster die Gerüche der Hinterhöfe in die Zimmer zogen, Kindergeschrei und Hundegebell, das Keifen einer Concierge und die Schwaden von gebratenem Fleisch aus der Hausmeisterwohnung. Hier erlebte Lyda auch einen Sonnenuntergang in Paris, wie sie ihn aus dieser Perspektive noch nie gesehen hatte: Die schäbigen, zerfallenen Dächer mit den Glasfenstern der Ateliers, die abbröckelnden Kamine mit den eisernen, verrosteten Rauchhauben, die schmutzstarrenden, von Taubenkot beschmierten Giebel, diese Dachwelt des alten Paris

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