Die Erbsünde
Auftreten, Menschenkenntnis, gesellschaftliche Gewandtheit. Vielleicht war sie weniger leidenschaftlich, aber nichts konnte ewig dauern.
Sie war schön, und er war stolz auf sie. Und mit dieser Feststellung überkam ihn ein mächtiges Schuldgefühl.
Willst du all dies aufs Spiel setzen? Die gemeinsamen Erinnerungen der letzten zwanzig Jahre wegwerfen? Und wofür? Für eine trügerische Laune, einen Traum von der verlorenen Jugend? Für den kurzen Taumel einer Begegnung mit einer Frau auf gleicher Ebene?
Seine Frau drehte sich plötzlich nach ihm um. Sie öffnete weit die Augen, noch geblendet vom hellen Licht der Neonröhren, und lächelte ihn unsicher an. »Hallo, Liebling«, sagte sie, »muß ich mich beeilen?«
»Hallo, Liebling«, sagte er mit rauer Stimme. »Hallo, Liebling. Lass dir nur Zeit. Ich bin auch noch nicht fertig. Es ist sowieso nur eine Cocktailparty, da dürfen wir ruhig ein bißchen zu spät kommen.«
Und seine verräterische Stimme ging ihm immerzu im Kopf herum: Hallo, Liebling. Hallo, Liebling. Hallo, Liebling.
10
Am Empfangsschalter der Redaktion lehnte lässig einer der jungen Reporter. Er war hochmodisch gekleidet und trug das Haar viel zu lang, jedenfalls nach dem Geschmack seines konservativen Chefredaktors, und plauderte mit der Telefonistin. Keiner der beiden bemerkte, wie ein untersetzter Mann das Gebäude betrat.
Unbeachtet blieb er unter dem Schild, auf dem ›Empfang‹ in Englisch und Afrikaans stand, stehen. Erst als er hüstelte, sahen die beiden sich nach ihm um und in sein griesgrämiges Gesicht mit der randlosen Brille. Das Mädchen entschied sofort, daß er Lehrer sein mußte.
»Entschuldigen Sie mal, Fräulein«, sagte er mit erstickter Stimme und hüstelte wieder. Er sprach auf afrikaans, aber sein Akzent verriet, daß er nicht daran gewöhnt war, also sprach die Telefonistin ihn gemäß höherer Anweisung diplomatisch auf englisch an. »Kann ich etwas für Sie tun, Sir?«
»Ich möchte bitte mit dem Redaktor sprechen.«
Der Reporter setzte sich von den Vorgängen ab und heuchelte intensives Interesse für die gerahmte Karikatur hinter dem Empfangstisch. Auf diese oft gehörte Bitte hatte das Mädchen sich schon eine Standardantwort zurechtgelegt, die sie jetzt mit ihrer frischfröhlichen Telefonistinnenstimme abschnurrte. »Tut mir leid, Sir, der Redaktor ist in unserem Hauptbüro in Johannesburg. Dies hier ist nur eine Filiale. Möchten Sie den Chefreporter sprechen?«
Der Kleine war enttäuscht. Unschlüssig nahm er die Brille ab, und das Mädchen erkannte, daß es nur daran lag, daß er so aufgeblasen wirkte und sie sofort an ihren früheren Geschichtslehrer erinnert hatte. Ohne die Gläser sah er wie ein beliebiger kurzbeiniger Mann mit einem naseweisen Fuchsgesicht aus.
»Ich weiß nicht.« Er machte eine hilflose Geste.
Die Telefonistin hatte den Geschichtslehrer nie leiden können, daher war sie wohl etwas schroff mit dem Besucher. »Worum handelt es sich denn?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen.« Er schien sehr von sich eingenommen zu sein. »Es ist überaus wichtig.«
Mit Querulanten hatte sie Übung. Sie wandte sich mit einem Achselzucken ab. »Dann würde ich Ihnen vorschlagen, mit dem Chefreporter vorliebzunehmen.«
»Also gut«, stimmte er widerwillig zu.
Es summte, und sie griff nach dem Hörer. »Frans«, sagte sie zu dem Reporter, »zeigen Sie dem Herrn doch bitte den Weg zu Mr. Lategans Büro.«
Während sie mit Schaltern und Stöpseln hantierte, gratulierte sie sich im stillen zu ihrem Einfall, die beiden Störenfriede auf diese Weise auf einmal loszuwerden.
In dieser Woche beschränkte Deon sich auf Routineoperationen. Aber selbst bei ganz einfachen Vorgängen war er unsicher. Er merkte es selbst und wußte, daß es auch den anderen nicht entgangen war. Wie hatte Snyman sich noch über einen besonders ungeschickten Chirurgen ausgelassen: »Er hat vier Daumen und eine große Zehe an jeder Hand.« Noch beunruhigender war, daß seine Konzentrationsfähigkeit nachließ. Der schlimmste Zwischenfall passierte bei einer Operation mitten in der Woche. Er wollte gerade eine Arterialkanüle einführen, als der Narkosearzt ihn in letzter Sekunde darauf aufmerksam machte, daß der Patient noch kein Heparin bekommen hatte. Das Blut wäre geronnen und der Patient ihm auf dem Tisch geblieben.
Im Labor sah es indessen besser aus. Er und Moolman operierten mit großem Erfolg an einem Hund.
Am Donnerstag traf er sich mit Trish im Kinderkrankenhaus, um
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